Gutachten steht im Kreuzfeuer der Kritik

Do, 26. Mär. 2015
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 22

Politik reagiert mit Empörung auf die Kostenexplosion beim Projekt „Depot Talstraße“. Am Ende grünes Licht für Mehrausgaben.

Von Werner Czempas

Aachen. „Das Gutachten ist in die Hose gegangen. Es ist kein Gutachten, es ist ein Schlechtachten.“ Den Kalauer mochte sich der SPD-Ratsherr Heiner Höfken als Vorsitzender des Betriebsausschusses Gebäudemanagement nicht verkneifen. Im Ausschuss ging es um die Kostenexplosion beim Projekt „Depot Talstraße“. Fassungslose Politiker wollen den Gutachter beim Schlafittchen packen.

Das ehemalige Straßenbahndepot in der Talstraße wird im Rahmen des Städtebauförderungsprogramms „Soziale Stadt“ zum Stadtteilzentrum Aachen-Nord umgebaut. Kreative, kulturelle und soziale Einrichtungen ziehen ein. Das Unterfangen sollte 9,4 Millionen Euro kosten, doch die Kosten laufen davon. Das Zentrum wird mindestens 1,94 Millionen Euro teurer. Und es wird nicht im Frühjahr 2016, sondern erst im Herbst des Jahres fertig.

Mit einer Foto-Dokumentation und einer Power-Point-Präsentation machte sich Klaus Schavan im Ausschuss daran, den unglaublichen Schlamassel den Politikern zu erklären. Wortreich ließ der Technische Geschäftsführer des städtischen Gebäudemanagements sich über den „Stand der Herausforderung“ aus. Die hat es in sich.

Die Stadt hatte vor Baubeginn ein auf die Sanierung von Altbauten spezialisiertes Aachener Architekturbüro, „sehr erfahren, sehr gut“, und ein ebenso renommiertes Projektsteuerungsbüro verpflichtet, auch aus Aachen wie das „alteingesessene“ Ingenieurbüro, das eigens zur Kostensicherheit schon im Vorfeld die Bausubstanz und den Beton des alten Depots untersuchte – oder was auch immer. Das umfangreich dokumentierte Gutachten des Ingenieurbüros war Grundlage für das Sanierungs- und Kostenkonzept.

Kostensparend ging der Gutachter allerdings „nicht vollflächig“ (Schavan) ans Werk, sondern prüfte das alte Gebäude auftragsgemäß nur „stichprobenartig an den standardmäßig neuralgischen Punkten“. Ein verhängnisvoller Fehler.

Die Stichproben zeigten nichts, erst beim Umbau „kam das ganze vollflächige Ausmaß der schlechten Bausubstanz zum Vorschein“. Das Szenario war erschreckend: „Notabstützungen“ müssen jetzt beton-morsche Hallenstützen sichern, Fundamente sind erheblich unterdimensioniert, Betondecken und -träger brüchig von oben bis unten. Den bröselnden Beton zu sanieren macht 870 000 Euro, eine Baupreis-Indexsteigerung von 570 000 Euro kommt hinzu, und draufzulegen sind nochmals 500 000 Euro, weil aus „förderrechtlichen Notwendigkeiten“ das Projekt „bauablauf-fremd in zwei Bauabschnitte“ zu trennen war, was sich bautechnisch, vertraglich und finanziell nachteilig auswirkte. Macht alles in allem 1,94 Millionen Euro mehr.

„Wir waren baff“, räumte Klaus Schavan im Betriebsausschuss für das Gebäudemanagement ein, „man darf es nicht schönreden.“ „Unerklärlich, total ärgerlich“, schimpfte Tina Hörmann von den Grünen. Unmöglich, dass „so etwas“ rauskomme bei einem Gutachten, das genau solche Mängel des Altbaus habe aufspüren sollen. „Ein Armutszeugnis für den Gutachter“, urteilte Ellen Begolli von den Linken, die 16 000 Euro fürs Gutachten seien „rausgeschmissenes Geld, die Außenwirkung ist fatal“.

Klaus-Dieter Jacoby und Karl-Heinz Starmanns, beide CDU, waren fern jeden Verstehens für den Vorgang. Überdies müsse bei der Stadt über die Statik des alten Depots „doch irgendwo etwas zu finden“ sein, was auch der Gutachter hätte wissen müssen.

Ob man den Gutachter „zur Verantwortung ziehen“ (Hörmann) und „Regress“ fordern kann oder „man ihn überhaupt bezahlt“ (Höfken), soll nun das Rechtsamt prüfen.

Enger Spielraum

Geklärt werden müssen die Auswirkungen der Bauverzögerung für die Mieter/Nutzer. Müssen sie mehr Miete zahlen, kann die Stadt sie subventionieren? „Der Spielraum ist sehr eng“, blickte Beigeordneter Manfred Sicking auf die städtischen Finanzen, in der kommenden Woche würden Gespräche geführt. Heidi Teuku von den Piraten setzte an der richtigen Stelle den Hebel an und wollte wissen, wo die Ausschreibungen zum Depot-Projekt eingesehen werden könnten. Klaus Schavan fand das zwar „extrem ungewöhnlich“, stellte aber klar: Antrag auf Akteneinsicht ist jederzeit möglich.

Bei aller Fassungslosigkeit und allem Ärger: Bei einer Gegenstimme (Teuku) und einer Enthaltung stimmte der Betriebsausschuss den Mehrausgaben von 1,94 Millionen Euro zu. Alle wollen das Stadtteilzentrum Aachen-Nord. Selbst wenn der Gutachter bei seinen Stichproben kaputten Beton und mangelnde Statik entdeckt hätte, die Politik hätte dem Umbau des Depots zugestimmt. „Aber wir hätten es gewusst“, sinnierte Heiner Höfken.

Architekt Karl Schumacher: „Das war doch schon im Jahr 1980 klar“

Zu einem Zwischenfall, der Aufmerksamkeit verdient, kam es in der Sitzung des Betriebsausschusses. Klaus Schavan vom städtischen Gebäudemanagement erläuterte die katastrophale Bausubstanz des Depots Talstraße, da wurde er von einem älteren Herrn, dem Aachener Architekten Karl Schumacher, alten Aachenern noch aus seinen AKV-Zeiten bekannt, unterbrochen: „Darf ich auch einmal etwas zum Depot Talstraße sagen?“ Schumacher trat vom Zuhörerplatz nach vorn.

Ausschussvorsitzender Heiner Höfken: „Nein, das geht nicht, Sie dürfen nicht.“ Schumacher: „Ich rede trotzdem.“ Höfken: „Im Fachausschuss geht das nicht, das können Sie im Rat in der Fragestunde oder im Bürgerforum, hier geht das nicht, tut mir leid.“ Schumacher: „Ich rede, oder Sie müssen mich aus dem Saal entfernen lassen. Einmal muss man mich doch anhören.“ Höfken, kopfschüttelnd: „Ist das denn so schwer zu verstehen, hier geht es nicht. Wenden Sie sich bitte an die Fraktionen.“ Schumacher blieb: „Sie werden doch wohl noch die Wahrheit hören wollen.“

Höfken unterbrach die Sitzung „für fünf Minuten“. Schumacher blieb, sprach weiter: „Was müssen wir hier erleben. Die Halle war schon 1980 abbruchreif. Hier wird unser Geld ausgegeben. Ich kenne das Haus Talstraße am besten von allen hier. Sie müssen mich schon mit der Polizei rausholen lassen.“

Ellen Begolli (Die Linke) redete beruhigend auf Schumacher ein. Der Architekt hielt einen Packen Papiere in der Hand, verteilte die beidseitig beschriebenen DinA4-Seiten an die Politiker. „Lesen Sie das, das müssen Sie lesen.“ Höfken setzte nach drei Minuten Pause die Sitzung fort.

Im „Flugblatt“ des Karl Schumacher steht unter anderem: „Wer versteckt denn meine Pläne??? Nach meinem Vertrag mit der Stadt Aachen habe ich abschließend 1980 eine vollständige Umbau-Vorplanung für ein Sportzentrum in den Aseag-Hallen der Talstraße erstellt und übergeben. Bei meiner Umbau-Vorplanung war Klarheit darüber, dass außer der denkmalgeschützten Straßenfassade an der Talstraße die Substanz der Erdgeschosshalle nicht mehr tragfähig ist.“ (cz)

„Ein Armutszeugnis für den Gutachter.“

Ellen Begolli, Die Linke

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.