Kiew: Russische Soldaten kämpfen in der Ostukraine

Fr, 29. Aug. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Kiew: Russische Soldaten kämpfen in der Ostukraine

Beweise für diese These bleibt Präsident Poroschenko aber schuldig. Separatisten räumen militärische Hilfe aus Moskau ein.

Von Andreas Stein
und Wolfgang Jung

Kiew. Für seine Hiobsbotschaft vom angeblichen Einmarsch der Russen hätte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko keine dramatischere Kulisse wählen können. In die Ukraine seien russische Truppen gebracht worden, sagt der Staatschef mit Grabesstimme in einer Fernsehansprache. Er steht auf dem Rollfeld eines Flughafens in Kiew, im Hintergrund heulen die Düsen der Regierungsmaschine. Doch Poroschenko fliegt nicht ab. „Ich habe einen Besuch in der Türkei abgesagt. Der Platz des Präsidenten ist heute in Kiew“, sagt der prowestliche Staatschef mit leichenbitterer Miene.

Fünf Monate nach der Annexion der Halbinsel Krim sollen russische Truppen hinter der ukrainischen Grenze mehrere Orte besetzt haben. Von einer „zweiten Front“ im verlustreichen Kampf der Armee gegen moskautreue Separatisten ist die Rede. Doch während Poroschenko eine Sondersitzung des Sicherheitsrats in Kiew einberuft, lässt der Kreml Diplomaten und Abgeordnete den vermeintlichen Einmarsch am Asowschen Meer als „Lüge“ dementieren. Die „erste Garde“ der Atommacht, also etwa Präsident Wladimir Putin oder Außenminister Sergej Lawrow, äußert sich zunächst nicht. Schon mehrfach hatte die Führung in Kiew von russischen Truppen gesprochen, aber nie Beweise vorgelegt.

Als zweifelsfrei gilt mittlerweile, dass russische Soldaten in der Ukraine mitkämpfen. Dies räumen sogar die Aufständischen ein. Insgesamt „3000 bis 4000“ Russen hätten in der Ukraine zu den Waffen gegriffen, sagt Separatistenführer Andrej Sachartschenko. Er spricht von ehemaligen russischen Berufssoldaten oder regulären russischen Soldaten, die „ihren Urlaub an der Front verbringen“ würden. Das dies ohne Duldung des Kremls geschehen könnte, halten selbst Experten in Moskau für unwahrscheinlich. Vorwürfe einer Militärhilfe der Aufständischen hat Russland stets zurückgewiesen. Aber es häufen sich Berichte über russisches Engagement.

Beobachter sehen allerdings die Lage vor allem für die ukrainische Armee dramatisch. Die prorussischen Separatisten erzielen seit Beginn ihrer Gegenoffensive massive Geländegewinne, heißt es. Etwa 300 Kilometer der russisch-ukrainischen Grenze von Lugansk bis Nowoasowsk stehen vermutlich unter ihrer Kontrolle. Auch bei Lugansk und Donezk drängen sie die Armee zurück. Tausende Soldaten sollen eingekesselt sein.

Poroschenkos Gegner werfen dem Staatschef vor, die jetzige Mitteilung vom russischen Einmarsch auch aus taktischen Erwägungen gemacht zu haben. Am Donnerstag begann offiziell der Wahlkampf vor der Parlamentswahl am 26. Oktober, und Poroschenko braucht Stimmen aus dem antirussischen Lager. Am Samstag reist Poroschenko zu den EU-Spitzen nach Brüssel, in der kommenden Woche tagt die Nato in Wales.

Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Ukraine Beratungen beim EU-Gipfel über weitere Sanktionen gegen Russland an. Die Lage in der Ostukraine habe sich wieder verschlechtert.

Nato spricht von 1000 Soldaten aus Russland

Nach Feststellung der Nato kämpft Russland mittlerweile mit mehr als 1000 Soldaten auf Seiten der prorussischen Separatisten gegen die ukrainische Regierung. Die Lage sei „zunehmend beunruhigend“, sagte gestern der niederländische Brigadegeneral Nico Tak im Nato-Hauptquartier in Mons (Belgien). Von einer Invasion Russlands wollte er nicht sprechen: „Wir reden derzeit von einem Einfall (Incursion) in die Ukraine. Es ist Sache der Politiker, das zu bewerten.“

Die Nato veröffentlichte zugleich Satellitenbilder, die nach Ansicht des Bündnisses beweisen, „dass russische Soldaten, die mit hochmodernen Waffen ausgerüstet sind, innerhalb des souveränen Territoriums der Ukraine operieren“.

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