„Land unter“ bei der Kripo

Interessanter Artikel der Aachener Nachrichten – Stadtausgabe

„Land unter“ bei der Kripo
Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Aachen: Bleibt die Situation unverändert, können die Kriminalpolizisten Aufgaben nicht mehr erfüllen

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26.08.2016

„Land unter“ bei der Kripo

Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Aachen: Bleibt die Situation unverändert, können die Kriminalpolizisten Aufgaben nicht mehr erfüllen

Von Thomas Vogel

Aachen. Wenn ein altgedienter und erfahrener Kriminalpolizist sagt, er würde seine Frau nur mit einem sehr unguten Gefühl nachts alleine durch Aachen gehen lassen, dann ist das mit Blick auf die Sicherheitslage in einer Stadt äußerst bedenklich. Wie überraschend es ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Prognose desselben Beamten für die nahe Zukunft jedenfalls klingt wie eine Dystopie. Eine, die seiner Ansicht nach gute Chancen hat, Realität zu werden. Vor rund drei Wochen hat sich Kurt Bültmann, seit 42 Jahren Polizist, seit 35 Jahren bei der Kriminalpolizei und Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Aachen, in einem offenen Brief an alle Landtagsabgeordneten gewandt (▶ Infobox). Er sieht die Sicherheit in Aachen weiter auf dem absteigenden Ast, „zumindest, wenn sich nicht schnell etwas ändert“. Bültmann bemängelt vor allem, dass die Kriminalpolizei zusehends überaltert, weitere Stellen verliert und deshalb ihre Aufgaben nicht mehr adäquat wahrnehmen kann.

Der Vorwurf richtet sich vor allem an die Landesregierung. Sie wiederhole gebetsmühlenartig, alles sei in Ordnung. Auch mit der Verteilung des Personals über die BKV. Die BKV – Belastungsbezogene Kräfteverteilung – regelt die Personalverteilung unter anderem orientiert an Straftat- und Unfallaufkommen bei den Kreispolizeibehörden. Die Verteilung über diesen Schlüssel habe sich bewährt, heißt es aus dem Ministerium.

Dramatische Überalterung

Bültmann wittert jedoch Ungemach: In der Vergangenheit habe der Behördenleiter immer entscheiden können, wie er das zugeteilte Personal einsetzt. Für die acht Schwerpunktbehörden in NRW, zu denen auch Aachen gehört, gebe es nun jedoch einen Erlass, nach dem der Behördenleiter genau nach Vorgabe aufteilen müsse. „Das geht zulasten der Kriminalpolizei. Wir werden in den nächsten drei Jahren zwischen 20 und 30 Leute verlieren.“ Hinzu komme die „dramatische Überalterung der Kriminalpolizei“, die weiter für eine Verschärfung der Personalsituation sorgen werde. Von der Möglichkeit, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten, mache kaum jemand Gebrauch. Mehr Kollegen würden tendenziell früher aus dem Dienst scheiden, weil sie den Aufgaben gesundheitlich nicht mehr gewachsen sind. Der Krankenstand bei den Kriminalern liegt laut Bültmann um rund sechs Prozent über dem anderer Arbeitsbereiche bei der Polizei. Die Folgen? „Kann man noch nicht mal erahnen.“

Rückmeldung aus der Politik

Von Landtagsabgeordneten der CDU hat Bültmann recht schnell eine Rückmeldung bekommen. „Da hat es auch schon Gespräche gegeben“, sagt er. Armin Laschet, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, schrieb, es freue ihn, dass Bültmann „als aktiver Beamter den Mut gefunden habe, die zahlreichen Unzulänglichkeiten, unter denen die Arbeit der Kriminalpolizei in unserem Bundesland leidet, öffentlich anzusprechen“. Der Analyse Bültmanns stimmt Laschet zu. Die technischen, rechtlichen und personellen Rahmenbedingungen der polizeilichen Ermittlungsarbeit ließen sehr zu wünschen übrig, und es sei an der Politik, das zu ändern. Seine Fraktion habe sich dafür bereits mit etlichen Initiativen – etwa für Schwerpunktstudiengänge „Kriminalpolizei“ und „Schutzpolizei“ oder eine Erhöhung der Kriminalpolizei am Personalbestand der Polizei – eingesetzt.

Verena Schäffer, stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Sprecherin des Innenausschusses des Landtages, erklärte auf Nachfrage: „Wir sind in einem regelmäßigen Austausch mit den Polizeigewerkschaften und nehmen deren Rückmeldungen natürlich ernst. Seit dem rot-grünen Regierungsantritt haben wir die Einstellungszahlen massiv erhöht – von 1100 angehenden Polizeibeamten im Jahr 2010 auf 1400 in 2011 und sogar 1920 Einstellungen in diesem Jahr. Davon profitiert auch die Kriminalpolizei. Weitere geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Kriminalpolizei sind aus meiner Sicht die Möglichkeit eines baldigen Wechsels nach der Ausbildung zur Kriminalpolizei und eine stärkere Schwerpunktsetzung im Studium.“ Auch sie will sich mit Bültmann in Verbindung setzen.

Ebenso wie die SPD, die sich nach der Urlaubszeit noch einmal melden will. Landtagsmitglied Karl Schultheis (SPD) erklärte auf Nachfrage, er habe den Brief mit der Bitte um fachliche Stellungnahme an den Landesinnenminister weitergeleitet, weil darin eine Reihe von Maßnahmen angesprochen würden, die von der Landesregierung eingeleitet worden seien. Er will das Gespräch mit Bültmann suchen. Vom Innenminister selbst, sagt der Aachener Kriminalbeamte, habe er keine Rückmeldung zum Thema bekommen.

Im Ministerium für Inneres und Kommunales reagiert man indes ruhig. Die Polizei in Nordrhein-Westfalen sei derzeit stark belastet. „Das steht völlig außer Frage“, sagt Wolfgang Beus, Sprecher des Ministeriums in Polizeiangelegenheiten. „Deshalb wollen wir ja der demografischen Entwicklung entgegenwirken und mehr junge Kollegen einstellen.“ Seit 2011 habe man 9000 junge Menschen bei der Polizei eingestellt. Ab 2017 sollen jährlich 2000 Kollegen folgen (2016: 1920) – erst einmal bis 2023. Dann soll es in NRW insgesamt 41 000 Polizeibeamte geben. Aktuell seien es rund 40 000. 500 zusätzliche Stellen habe man zuletzt geschaffen, 350 davon für Angestellte. Sie sollen Beamte, die sich hauptsächlich um Verwaltungsangelegenheiten kümmern, wieder auf die Straße bringen. Bültmann glaubt nicht an einen Entlastungseffekt. Viele der Kollegen, die diese Stellen derzeit besetzen, seien nur eingeschränkt einsetzbar. Polizeipräsident Dirk Weinspach wollte sich zum offenen Brief Bültmanns übrigens nicht äußern.

„Aachen ist überall“

Die Polizei will mehr machen, ist aber auf ausreichend Personal angewiesen. Bültmann schreibt: „Ein Kriminalbeamter, der im Jahr zwischen 400 und 500 Verfahren bearbeiten muss, kann einfach nicht in der Lage sein, jedem Hinweis nachzugehen.“ Und: „Schon dieses Jahr können wir nicht alle Kollegen, die pensioniert werden, ersetzen“, erklärt der Gewerkschafter.

„Parallel dazu rüstet die Staatsanwaltschaft auf, weil wir Schwerpunktbehörde sind. Auf meinen offenen Brief habe ich Rückmeldungen von Kollegen bekommen, die sagen: ‚Aachen ist überall.‘ Eigentlich haben wir alle Land unter, aber zu wenige sagen es.“

Bei Massenkriminalität „so gut wie keine Ermittlungsarbeit mehr“

Im offenen Brief von Kurt Bültmann vom BDK in Aachen heißt es: „Die letzten zehn bis 15 Jahre waren von einer immer liberaleren Einstellung und durch immer weitere datenschutzrechtliche Bestimmungen geprägt, die ein zielorientiertes rechtsstaatliches Arbeiten für die Polizei in vielen Bereichen stark erschwert und teilweise sogar unmöglich gemacht haben.“

Seit Jahren seien rund 22 Prozent aller Polizisten bei der Kriminalpolizei. Seitdem habe sich die Zahl der Verfahren jedoch deutlich erhöht. Und mehr noch: Auch der Ermittlungsaufwand in diesen Verfahren habe sich deutlich erhöht. „Wenn Sie früher einen Raubüberfall auf eine Tankstelle hatten, dann sind die Kollegen vor 15, 20 Jahren hingefahren und haben geschaut: Gibt es Zeugen, Fingerabdrücke oder gibt es jemanden, der ein Fluchtfahrzeug oder sonst etwas beobachtet hat. Heute brauchen Sie zusätzlich zum Beispiel Daten von Mobilfunkmasten von jedem Netzbetreiber, schauen nach einer Videoüberwachung an der Tankstelle und weiteren Videokameras irgendwo an der Strecke. Der Arbeitsaufwand ist deutlich größer geworden.“

Wozu das führt, steht in einem ähnlichen Brandbrief des BDK aus Duisburg. Darin heißt es, bei Straftaten der Massenkriminalität wie Taschen- oder Fahrraddiebstählen gebe es „so gut wie keine Ermittlungsarbeit mehr“. Wird der Täter nicht gesehen, würden die Verfahren zur Einstellung an die Staatsanwaltschaft übersandt. „Das ist auch in Aachen so“, bestätigt Bültmann. „Das will zwar keiner hören, aber Sie müssen einfach Prioritäten setzen. Sie haben so viele Vorgänge, dass Sie nicht mehr alles bearbeiten können. Und dann fragen Sie: In welchen Fällen kann und muss ich ermitteln, und welche Delikte kann ich nur verwalten?“

„Tote Hunde“ nennen die Kriminaler diese Fälle, in denen man ad hoc keinen Ermittlungsansatz hat. „Man könnte schon etwas ermitteln. Dafür müsste man allerdings ziemlich viel Personal aufbringen.“ Ein klassisches Beispiel dafür seien eben jene Fahrraddiebstähle. „Eigentlich müsste man zwei, drei Mitarbeiter freistellen, die sich um nichts anderes kümmern“, meint Bültmann. „Die haben sie aber einfach nicht.“.

„Ein Kriminalbeamter, der im Jahr zwischen 400 und 500 Verfahren bearbeiten muss, kann einfach nicht in der Lage sein, jedem Hinweis nachzugehen.“

Kurt Bültmann,
BDK-Vorsitzender in Aachen

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