Provokationen, üble Hetze und Unwahrheiten

clip_image001

Do, 16. Feb. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Die Seite Drei / Seite 3

Provokationen, üble Hetze und Unwahrheiten

Die Auseinandersetzung um die Preisverleihung an den umstrittenen Publizisten Henryk M. Broder in Aachen dauert an. Eine Zusammenfassung.

Von Peter Pappert

Aachen. Der Streit um Henryk M. Broder, dem die Deutsch-Israelische Gesellschaft Aachen (DIG) im Dezember ihren Ehrenpreis verlieh, und Aachens Bürgermeisterin Hilde Scheidt (Grüne), die diese Auszeichnung kritisierte, weitet sich aus und findet mittlerweile sogar Niederschlag in der „Jerusalem Post“.

Broder ist ein bundesweit bekannter Publizist und Autor mehrerer überregionaler Zeitungen, der Kritik an der israelischen Regierungspolitik zumeist und gerne als Antisemitismus brandmarkt. Er erhielt den DIG-Preis, weil er sich stets für das Existenzrecht Israels eingesetzt und Position gegen Extremisten von rechts und links bezogen habe. „Das ist uns wichtig, und darum haben wir ihn ausgezeichnet“, sagt DIG-Vorsitzender Axel Holst im Gespräch mit unserer Zeitung. Er wirft Scheidt vor, sie nehme nur Broders „überspitzte Äußerungen“ wahr, diffamiere die DIG und wolle mit ihrer Kritik an dem Journalisten provozieren. Anfang der Woche überschüttete Holst die Bürgermeisterin in einer „Presseerklärung“ mit Vorwürfen.

Scheidt, die Ende Dezember aus der DIG austrat und zuvor deren Beirat angehörte, hatte dort von Anfang an vor der Vergabe des Preises an Broder gewarnt: Mit seiner radikalisierenden Polemik schüre der Journalist Ressentiments; er verunglimpfe berechtigte Kritik an der israelischen Politik und verhindere konstruktive Auseinandersetzungen. Durch Broders Rede bei der Preisverleihung in Aachen sah sich Scheidt in ihrer Einschätzung bestätigt. Dort wetterte der höchst umstrittene Journalist nicht nur gegen das „alternative, friedensbewegte rote Pack“, sondern unter anderem auch gegen den renommierten Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz.

Niveaulose Medienschelte

Vollständig entgleiste Broder dann wenige Tage später in seinen Reaktionen auf den Artikel in unserer Zeitung über die Preisverleihung. Darin waren Karikaturen als „israel-kritisch“ bezeichnet worden, von denen Broder zumindest eine als eindeutig antisemitisch einstuft. Daraufhin stellte er in seinen Internet-Blog „Die Achse des Guten“ zwei Bilder eines Afters und bezeichnete diese als Porträts des Berichterstatters, sollte jene Karikatur israel-kritisch sein; zudem erging er sich in weiterer niveauloser Medienschelte. Scheidt wiederum, die auch das öffentlich beanstandet hatte, sieht sich seit ihrer Kritik ebenfalls übelster Hetze von Broder ausgesetzt: , so Broder. Er schreibt weiter über „ein grünes Spatzenhirn“ und „hilfloses Gutmenschen-Geplärre einer überforderten Politikerin“.

Holst sieht keinen Grund, die Bürgermeisterin gegen solche Ausfälle in Schutz zu nehmen. „Wir wollen eine sachliche Diskussion, wenn es um Israel und seine Existenz geht“, sagt er. Dass die Auszeichnung von Broder diesem Anliegen widerspricht, bestreitet der DIG-Vorsitzende, der es entschieden ablehnt, sich von Broder zu distanzieren. Er sei zwar mit dessen zugespitzten Äußerungen nicht immer glücklich; Broder schieße hier und da über das Ziel hinaus, enttarne aber Antisemiten, „Duckmäuser und Schleimer“.

Holst sieht sich mit dem DIG-Preisträger einig: „Die Kritiker der israelischen Regierung verstecken zu großen Teilen hinter ihren Vorwürfen Antisemitismus.“ Er habe von Scheidt erwartet, dass sie die demokratische Abstimmung in der DIG solidarisch mittrage. In seiner „Presseerklärung“ versteigt sich Holst sogar zu der Bemerkung, Scheidts Aussage über Broder – „Er spaltet und bringt Streit; davon lebt er“ – erinnere „an unsägliche antisemitische Rhetorik vergangener Zeiten“.

Scheidt will die „Presseerklärung“ der DIG nicht kommentieren. Sie ist von der Schärfe der Auseinandersetzung spürbar angegriffen und irritiert von den rabiaten Vorwürfen, die ihr gemacht werden. Die Bürgermeisterin hatte gerade erst monatelange Auseinandersetzungen im Verein Aachener Friedenspreis (AFP) hinter sich gebracht, in deren Verlauf sie aus dessen Vorstand austrat. Der AFP hat seit geraumer Zeit erhebliche Probleme, die Grenze zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus zu ziehen und sich ohne Wenn und Aber von antisemitischen Ressentiments zu distanzieren. Genau das hatte Scheidt 2011 wiederholt und nachdrücklich kritisiert.

Holst wirft der Aachener Bürgermeisterin vor, dass sie aus der DIG ausgetreten ist, beim AFP aber nur den Vorstand verlassen, ihre Mitgliedschaft im Verein jedoch beibehalten hat. Scheidts Austritt aus der DIG ist anscheinend auf langwierige Entwicklungen in der Spitze der Gesellschaft zurückzuführen. Sie schätze die menschliche Zusammenarbeit in der DIG; darüber hinaus äußert sie sich dazu im Gespräch mit unserer Zeitung aber nicht. Offensichtlich hat sie den Spagat zwischen AFP und DIG nicht mehr länger ausgehalten. Scheidt hatte versucht zwischen weit auseinander liegenden Positionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu vermitteln, ist dabei aber gescheitert.

Dass er vor allem die Linke kritisiere statt die Rechtsextremisten, hält die Bürgermeisterin Broder vor. „Auch Linke haben Probleme mit Antisemitismus; aber uns allen bereitet doch vor allem der Rechtsextremismus Sorgen“, sagt Scheidt. Bei aller Kritik an Broder lobt sie Teile von dessen Aachener Rede sehr wohl: Er finde es seltsam, „einen Preis dafür zu bekommen, dass ich mich für das Existenzrecht Israels einsetze“, hatte Broder in Aachen gesagt. „Es ist, als würde ich einen Preis dafür bekommen, dass ich an einer roten Ampel halte (. . .) für das Selbstverständliche also.“ Niemals habe jemand einen Preis dafür bekommen, dass er sich für das Existenzrecht Belgiens einsetzt. Sich für Israel einzusetzen, sei offenbar außergewöhnlich. Diese Aussage bringt auch für Scheidt die Sache auf den Punkt. „Das finde ich gut.“

Über den Aachener Streit ist nun sogar in der „Jerusalem Post“ in Israel berichtet worden – in einem Artikel, der allerdings eine Fülle von Falschaussagen und Ungereimtheiten enthält. Verfasser ist Benjamin Weinthal, der Europa-Korrespondent der israelischen Zeitung. Er schreibt, der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, habe Scheidt angegriffen, weil sie eine antisemitische und anti-israelische Karikatur verteidigt habe, und wegen ihrer Versuche, zwei prominente deutsch-jüdische Autoren zu verunglimpfen, weil diese modernen Antisemitismus und radikalen Islam kritisierten. In einer „exklusiven Stellungnahme“ für die Jerusalem Post habe Graumann „in Verbindung mit der Grünen Scheidt“ geschrieben: „Jemanden wegen rechtsradikaler Hetze anzuklagen, weil er eine widerliche antisemitische Karikatur kritisiert und die Tatsache anprangert, dass diese unter dem Vorwand einer kritischen Beurteilung Israels toleriert wir d, macht den Ankläger selbst schuldig, denn er versagt im Kampf gegen Antisemitismus, verdreht Tatsachen und ist unzuverlässig im Kampf gegen Hass und Gewalt.“

Schwere Vorwürfe, die Graumann in seiner Stellungnahme allerdings nicht „in Verbindung mit der Grünen Scheidt“ geäußert hat. „Die Verbindung habe ich gar nicht hergestellt“, sagt Graumann unserer Zeitung. „In dem, was ich tatsächlich gesagt habe, kommt der Name Scheidt nicht vor.“ Als er diese Stellungnahme abgegeben habe, habe er den Namen Scheidt und deren Kritik an Broder nicht gekannt und seine Aussage deshalb auch nicht auf sie bezogen. Zwischenzeitlich hat sich Graumann allerdings erkundigt und widerspricht Scheidt deutlich in einem Punkt: Broders Äußerungen in Verbindung mit rechtsradikaler Hetze zu bringen, „ist stil- und geschichtslos. Er ist kein Hetzer, aber das ist Geschmackssache. Ich finde eine solche Parallele ungehörig.“

Scheidts Reaktion darauf ist ebenso eindeutig: Sie könne Graumann gut verstehen, zumal es ihr gerade um ein Diskussionsklima gehe, „in dem man sich untereinander verständigen kann. Und deshalb halte ich Broders Ton für unangemessen. Das sind wir in Aachen nicht gewöhnt.“

Einig sind sich Scheidt und Graumann auch darin, dass jene umstrittene Karikatur eindeutig antisemitisch ist. Sie zeigt einen Mann mit Davidstern, der auf einem Teller mit einem Messer, auf dem „Gaza“ steht, und einer Gabel einen Palästinenser zerteilt – daneben ein Glas mit Blut. Anders als Weinthal in seinem Artikel in der „Jerusalem Post“ behauptet, hat Scheidt diese Karikatur nie verteidigt – im Gegenteil. Gerade in den heftigen Konflikten innerhalb des AFP hat sie dieses Machwerk wiederholt und eindeutig beanstandet. Weinthal geht aber noch weiter, indem er schreibt, Scheidt habe die Zeichnung mit den Worten verteidigt: „Es muss möglich sein, die Politik Israels zu kritisieren – und eine Regierung, die dem israelischen Volk schadet.“ Eine völlig abstruse Verbindung, die außer Weinthal nie irgendjemand hergestellt hat. Der Autor unterstellt also, für Scheidt sei die Karikatur eine nachvollziehbare Kritik an der israelisch en Politik.

Der Korrespondent der „Jerusalem Post“ behauptet, Scheidt habe in der lokalen Presse eine Kampagne entfacht, Broder und den bei der Preisverleihung ebenfalls anwesenden Autor Ralph Giordano daran zu hindern, in Aachen zu reden. Weiter schreibt Weinthal: „Deutsche Beobachter der lokalen Presse berichteten der Post, dass die Aachener Zeitungen eine anti-jüdische Kampagne gegen Broder und Giordano und ebenso einseitige Angriffe auf Israel befördert hätten.“ Mit der Wirklichkeit haben diese Ausführungen nichts zu tun.

Drehmann sieht sich falsch zitiert

Auch der Vorstandsassistent der Jüdischen Gemeinde in Aachen, Alexander Drehmann, sieht sich von Weinthal an mehreren Stellen falsch zitiert. Unter anderem habe er nicht gesagt, Scheidts Ansichten zu Israel seien nicht klug. Deutlich wendet sich Drehmann gegen den Schlusssatz des Artikels; dort schreibt Weinthal: „Ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde Aachen teilte der Post mit, dass Scheidt Israel angreife, weil sie der deutsch-türkischen Bevölkerung gefallen und Stimmen für ihre Partei sichern wolle.“ Drehmann dazu: „Das ist wirklich nicht seriös.“

Der Artikel in der „Jerusalem Post“ enthält weitere nicht belegte Unterstellungen und zitiert schließlich auch eine Aussage von Broder, Scheidt sei „eine grüne Antisemitin und Aachen von ihren Hetzreden verseucht“. Einerseits kann man aufgrund der zahlreichen Falschmeldungen in diesem Artikel auch hier an der Richtigkeit der Darstellung zweifeln, andererseits würde die Aussage Broders zu dessen übrigen Tiraden gegen die Bürgermeisterin passen.

Ein Gedanke zu „Provokationen, üble Hetze und Unwahrheiten

  1. Entweder kennt der Autor dieser Hetzerei hier den Unterschied zwischen einer plumpen Aussage und eines Konditionalsatzes nicht, oder er unterschlägt Informationen, damit seine Frontmache besser fruchtet.
    Hier wird behauptet, Broder hätte die Bilder eines Rektums eingestellt und als Bilder der Autoren bezeichnet. Nachzulesen ist aber ein „wenn (…) dann (…)“ Satz.
    Und wer den Antisemitismus in der Darstellung eines Juden, der ein Kind mit einem Besteck zerteilt und auffrisst (u.a. um dieses auf der Domplatte zu sehende Bild ging es Broder) nicht erkennt und noch nicht einmal die Ähnlichkeiten zu Hetzdarstellungen der Nazis einräumt, der sollte nicht über Wahrnehmungen anderer klagen.
    Das der Autor dieses Beitrages hier ein Bild des „Kinderfressenden Juden“ ebenfalls als „nur israelkritisch“ einstuft spricht Bände.

Schreibe einen Kommentar zu Stichwortgeber Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.