Ärzte ohne Grenzen geht, die Plünderer kommen

Mo, 19. Aug. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Ärzte ohne Grenzen geht, die Plünderer kommen

Wegen brutaler Angriffe auf die Mitarbeiter verlässt die Hilfsorganisation Somalia. Für viele Menschen ist das ein Todesurteil.

Von Mohamed Odowa
und Carola Frentzen

Mogadischu. Maryan Muse sitzt mit ihren vier Kindern vor dem Eingang der Jaziira-Klinik in Somalias Hauptstadt Mogadischu. Aber die Türen sind geschlossen. Sie hat Tränen in den Augen und Verzweiflung in der Stimme, als sie sagt: „Wer wird denn jetzt meiner Familie helfen?“ Wie Hunderttausende ihrer Mitbürger war Maryan auf die kostenlose medizinische Versorgung von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) angewiesen. Aber wegen der immer größeren Gefahren in dem Krisenland hat die Organisation am vergangenen Mittwoch ihren Rückzug aus Somalia angekündigt.

„Die Schließung unserer Projekte ist die direkte Folge extrem brutaler Angriffe auf unsere Mitarbeiter“, erklärte MSF-Präsident Unni Karunakara. Seit Beginn des Einsatzes vor 22 Jahren sind 16 Mitarbeiter ums Leben gekommen. Auch gab es immer wieder Entführungen. Der jüngste Fall war die Verschleppung von zwei Spanierinnen aus dem Flüchtlingscamp Dadaab in Kenia. Die beiden Frauen wurden nach Somalia gebracht und kamen erst im Juli nach 21 Monaten Geiselhaft frei.

Schon wenige Stunden nach der MSF-Ankündigung berichteten Augenzeugen bereits von Plünderungen in den Kliniken. Al-Schabaab-Rebellen rissen dabei sämtliche medizinischen Geräte und andere Materialien an sich, die die Organisation zurückgelassen hatte.

Keine ärztliche Versorgung

„An einigen Orten wird es für die Bevölkerung überhaupt keine ärztliche Versorgung mehr geben, das ist leider eine Tatsache“, räumte Karunakara ein. Für viele Somalier kommt das einem Todesurteil gleich. Bereits heute sind UN-Angaben zufolge über 70 Prozent der Menschen unterernährt. Fast drei Viertel der zehn Millionen Einwohner leben in extremer Armut und verdienen weniger als 1,50 Euro am Tag.

MSF hatte seit 1991 nicht nur eine kostenfreie medizinische Grundversorgung angeboten, sondern auch mangelernährte Kinder und Schwangere behandelt, Patienten operiert und Impfungen organisiert. „Mein Baby ist krank“, klagt die dreifache Mutter Asho Du‘alle. „Ich habe kein Geld für Medizin aus der Apotheke.“ Sie hat sich in eine Schlange vor der Jaziira-Gesundheitsstation eingereiht, obwohl sie weiß, dass „Ärzte ohne Grenzen“ die Türen nicht mehr öffnen wird. Ashos Beispiel zeigt, dass vor allem Kinder unter der fehlenden freien Krankenversorgung leiden werden. Bereits heute hat Somalia eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten weltweit.

Die Regierung in Mogadischu ist sich bewusst, welch schwerwiegende Folgen der Abzug von „Ärzte ohne Grenzen“ haben wird. Präsidentensprecher Abdirahman Omar Osman forderte die Verantwortlichen auf, den Schritt noch einmal zu überdenken. „Das ist genau das, was Al-Schabaab und Al-Kaida wollten, weil sie die Bürger jetzt noch mehr terrorisieren können“, betonte er. Der Minister für den Öffentlichen Dienst, Maryan Qasim, fügte hinzu: „Wir befürchten, dass die Entscheidung eine katastrophale humanitäre Krise auslösen wird.“ (dpa)

„Deutschland hält Finanzzusagen nicht ein“

Deutschland richtet seine Entwicklungspolitik aus Sicht der Hilfsorganisation ONE nicht an den Ärmsten der Welt aus und bleibt weit hinter seinen Zusagen zurück. 2012 sei der Anteil öffentlicher Mittel Deutschlands für Entwicklungszusammenarbeit (ODA) erstmals seit 2005 gesunken.

Die Summe der Gelder sei gegenüber 2011 um 297 Millionen auf 9,77 Milliarden Euro gesunken, geht aus einem am Sonntag bekanntgewordenen ONE-Bericht hervor.

Die Hilfen an Afrika seien um mehr als 16 Prozent gefallen. „Deutschland hat in den vergangenen Jahren geschlafen und viel Glaubwürdigkeit verspielt“, sagte ONE-Deutschland-Direktor Tobias Kahler: „Deutschland hat den Ärmsten ein Versprechen gegeben.“ Zwischen 2013 und 2015 müsste Deutschland laut ONE seine ODA-Gelder um 9,96 Milliarden Euro aufstocken. Dies entspreche einem Jahres-Zuwachs von 3,32 Milliarden. Im Etatentwurf für 2014 würden die Gelder für das Entwicklungsministerium aber gekürzt.

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