Als Jürgen Linden das Lächeln gefror

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Di, 17. Apr. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Euregio / Seite 5

Als Jürgen Linden das Lächeln gefror

Zwei Aachener haben einen Dokumentarfilm über den Bau des neuen Tivoli gedreht. Heute ist Premiere.

Aachen. Eigentlich traf man sich in aller Freundschaft, die alten Streitigkeiten schienen beigelegt, alle hatten gute Laune. Jürgen Linden, damals Aachens Oberbürgermeister, sprach ein paar warme Worte zur Einweihung der neuen Anlage, die die Stadt den Soerser Kleingärtnern für 2,5 Millionen Euro gebaut hatte. Linden klang verbindlich, freundschaftlich fast, versöhnlich, wünschte Glück und nahm lächelnd den Applaus der Kleingärtner entgegen.

Dann durfte Hubert Coonen sprechen, Vorsitzender der Kleingärtner, deren alte Anlagen dem neuen Tivoli weichen mussten. Coonen wollte die warmen Worte des immer noch lächelnden Linden erwidern, das hatte er sich vorgenommen, aber von einem Moment auf den anderen vergaß er sich und sprach stattdessen von Vertreibung, von Heimatverlust, von Bitterkeit. Linden lächelte weiter, sein Lächeln gefror, es sah so aus, als wolle er so verhindern, dass ihm seine Gesichtszüge entgleisen.

Heute Abend findet im Capitol in Aachen die ausverkaufte Premiere von „Friede, Freude, Eierkuchen – Abenteuer aus der Aachener Soers“ statt, um 20 Uhr geht es los, viele der Protagonisten werden anwesend sein. Die Filmemacher Miriam Pucitta und Michael Chauvistré sind weder Fußballfans noch wollten sie einen Film über den Bau des neuen Tivoli drehen. Sie schlossen sich 2007 dem „Soerser Forum“ an, das sich gründete, als für den neuen Tivoli Parkplätze mitten in dem Landschaftsschutzgebiet angelegt werden sollten, an dem Pucitta und Chauvistré mit ihren Kindern leben. Die Bürger-initiative lud Politiker ein, um die bedrohten Tier- und Pflanzenarten zu zeigen, und Chauvistré stand dabei und filmte. „Wir haben damals die Kamera sehr bewusst als Waffe benutzt“, sagt Miriam Pucitta, und auch das trug zum Erfolg des „Soerser Forum“ bei: Das Landschaftsschutzgebiet blieb unangetastet.

Über die Bürgerinitiative gerieten Pucitta und Chauvistré an Coonen und die Kleingärtner, da haben sie einfach mal weitergefilmt. Dann stießen sie auf Ekrem Atas, der sein Restaurant „Zweistromland“ gegen Stadt und Alemannia verteidigte wie eine von allen Seiten belagerte Burg, bis es im Januar 2009 bei einer Brandstiftung völlig zerstört wurde. Der Täter wurde nie ermittelt. Pucitta und Chauvistré begleiteten Politiker, filmten bei Ratssitzungen, dokumentierten, wie der Tivoli wuchs und welche Konsequenzen das hatte.

Doch eigentlich hört der Film zu früh auf. Sie hätten weiterdrehen und zeigen können, wie das viel zu große, viel zu optimistisch geplante, viel zu teure Stadion zur Bürde des kleinen Zweitligisten Alemannia Aachen wird, zur Bürde möglicherweise auch für die ganze Stadt. Im Frühjahr stand die Alemannia kurz vor einer Insolvenz, der Abstieg in die dritte Liga droht. Aber die Filmförderung NRW wollte Ergebnisse sehen, sonst hätten Pucitta und Chauvistré den Anspruch auf bereits gewährte Fördergelder verloren. Vier Jahre haben sie gedreht, bis 2011.

Dem Film ist anzumerken, dass er ohne klare Haltung, vielleicht sogar ohne genauen Plan gedreht wurde, zunächst jedenfalls. Doch je länger der Film dauert, desto stärker werden die Szenen, die er im Laufe der Jahre eingefangen hat: der mit der Fassung kämpfende Hubert Coonen, während seine Kleingartenanlage abgerissen wird; der entgeisterte Ekrem Atas nach dem Brand in seinem Restaurant; der Aachener Stadtrat, der weitreichende Entscheidungen diskussionslos durchwinkt; der sich als jovialer Stadtvater inszenierende Jürgen Linden; die Freude der Stadionbesucher vor dem ersten Spiel auf dem neuen Tivoli. All dies ist sehenswert, und viele Szenen sprechen für sich.

Pucitta und Chauvistré wollen nicht ausschließen, den Film fortzusetzen und gegebenenfalls neu zu schneiden, vielleicht fürs Fernsehen. Denn die Geschichte des neuen Tivoli ist nicht zu Ende erzählt, hoffentlich noch lange nicht. (gego)

„Wir haben damals die Kamera sehr bewusst als Waffe benutzt.“

Miriam Pucitta, Filmemacherin

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