Demos legten die halbe Innenstadt lahm

Mo, 31. Mär. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokaltitel Aachen / Seite 23

Demos legten die halbe Innenstadt lahm

Gespenstischer Zug der Rechten durch hermetisch abgeriegelte Straßen. Vermummte liefen mit der Polizei um die Wette. Verlauf insgesamt friedlich.

Von Heiner Hautermans

Aachen. Vor dem Bahnhofsgebäude wurde die politische Ordnung eingehalten: Rechts stand rechts, Links links. Zumindest wenn man mit dem Rücken zur Bahnhofstraße stand. Wobei die Linken schon am Anfang deutlich in der Überzahl waren. Der Aachener Kreisverband der als neonazistisch eingestuften Partei Die Rechte hatte für Samstag um 18 Uhr zur Demo gegen Multikulti eingeladen. Wer aber zunächst nicht kam, waren die Neonazis. Tröpfchenweise trudelten sie nach und nach ein, um dann auf die von der Polizei genau ermittelte Zahl von 91 anzuwachsen. Auf der Gegenseite, zusammengetrommelt von der Linksjugend, standen bereits von Anfang an rund 300 Gegendemonstranten, sauber durch Gitter und Polizeiketten getrennt, in der Mitte eine bunte Mischung aus Reisenden, interessierten kritischen Bürgern, angeheiterten Alemannia-Fans, die den Sieg feierten und dafür Applaus erhielten, und Medienleuten. Über dem Ganzen kreisten Hubschrauber.

14 Tage Vorbereitung hatte die Polizei zu diesem Zeitpunkt schon in die Vorbereitung dieses gewaltigen Einsatzes gesteckt. An die 1000 Kräfte waren aus halb NRW zusammengezogen worden, um quasi die
Quadratur des Kreises zu schaffen: Die Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht unterschiedlichster Parteien zu schützen und die körperliche Unversehrtheit der Aachener zu garantieren. Dafür war auch die halbe Innenstadt abgesperrt worden, die Achsen zwischen Normaluhr und Marschiertor sowie Kapuzinergraben und Peterstraße etwa waren ab dem Nachmittag komplett abgeriegelt.

Die Linken übten sich ab 18 Uhr schon einmal kräftig im Krachmachen mit Trillerpfeifen, Sirenen und „Nazis-Raus“-Rufen. Ein Redner: „Wenn man Nazi ist, weiß man, dass man Ärger bekommt, und das ist gut so. Wir sind immer mehr als die.“ Es dauerte aber noch bis etwa 19.40 Uhr, bis die Rechten unter ohrenbetäubendem Lärm ihren Umzug Richtung Leydelstraße und Wallstraße starteten, um vor dem Theater eine Kundgebung abzuhalten.

Erlösende Durchsage

Auf dem ganzen Weg dahin waren die Nebenstraßen, selbst kleinste Sackgassen oder Fußgängerzonen, hermetisch abgeriegelt, und überall standen Menschen, die das genaue Gegenteil von dem machten, was der „nationale Widerstand“ wollte. Keiner reihte sich in deren Reihen ein, alle protestierten lautstark hinter den Absperrungen, vom Wohnungsfenster aus oder der Dachterrasse: „Nazis raus!“ Und auch am Stadttheater sowie an der Musikschule hingen Transparente und Banner die überdeutlich machten. „Wir sind Aachen – Nazis sind es nicht“ oder „Studis für Kultur statt brauner Fackeltour“. Von den Absperrungen betroffen waren auch die Theaterbesucher, die sich – wie auch viele Reisende am Bahnhof – einer Kontrolle unterziehen mussten.

Die 91 Rechten skandierten ihre Sprüche über zwei Lautsprecher, die auf dem Kleinlaster eines Landschaftsbauers mit Dürener Kennzeichen montiert waren. Kleine Kostproben: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“ Von Entfremdung vom Kulturmenschen war die Rede, vom Volkstod, von Rasse, von ,vom „ekelhaften Pulk, der in Multikulti versinkt“ und von der eigenen „unbezwingbaren Ideologie“ sowie einem 20-Jährigen, der am 4. April 2008 in Stolberg durch einen Jugendlichen getötet wurde und von den Rechtsextremen zum Idol erhoben worden ist.

Von einem jungen Demonstranten, der sich stimmlich total verausgabte und am Ende klang wie Erdogan im Wahlkampf, wurde der „größte Staatsmann aller Zeiten“ beschworen, „dessen Namen ich in der BRD leider nicht nennen darf“. Dabei trug der harte Kern Fackeln, die Aachen erleuchten sollten – eine gespenstische Szenerie. Allerdings war die Zahl der Fackeln begrenzt worden, eine der vielen Auflagen, die die Neonazis zu Beginn laut vorlesen mussten, nur jeder zehnte durfte eine Fackel tragen, die anderen hatten Grablichter dabei. Lakonischer Kommentar einer jungen Dame: „Dass die sich nicht schämen.“

Vom Theater ging es wieder zurück, mit kurzem Abstecher zum Marschiertor, wo eine zweite Kundgebung stattfand. Um 21.37 Uhr die erlösende Durchsage am Hauptbahnhof: „Die Veranstaltung ist beendet, die Kerzen bitte am Lautsprecherwagen abgeben.“

Der Spuk war vorbei, die Abreise verlief unproblematisch. Die Polizei, die sich auch mit einer weiteren Gruppe von rund 100 Vermummten parallel zum Zugweg ein Katz-und-Maus-Spiel geliefert hatte, war es zufrieden. Bilanz von Sprecher Paul Kemen: „Es hat keine körperlichen Auseinandersetzungen gegeben.“ Allerdings mussten vier Männer in Gewahrsam genommen werden.

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