Der Mord an Emil und Selma Katzenstein

 

 

Mi, 25. Jul. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 17

Der Mord an Emil und Selma Katzenstein

„Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen“. Heute vor 70 Jahren wurden 278 Juden nach Theresienstadt deportiert.

Aachen. Vor genau 70 Jahren wurde von den Nationalsozialisten die größte Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger aus Aachen organisiert. Der Zug der Reichsbahn mit der Nummer „Da 71“ brachte am 25. Juli 1942 insgesamt 278 Juden aus Aachen in das Konzentrationslager Theresienstadt. Die Deportation führte über Düren nach Düsseldorf, und schließlich hatte der Zug 20 Waggons mit 980 Insassen in der dritten Klasse, die für den Transport auch noch selbst aufzukommen hatten.

Von den 980 Deportierten aus dem Rheinland überlebten nur 61 Menschen, elf von ihnen lebten vor dem Krieg in Aachen. Die übrigen 267 Aachener starben in Theresienstadt oder wurden nach einer weiteren Deportation in Auschwitz oder Treblinka ermordet.

Nachdem bei der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 Theresienstadt zum Altersghetto bestimmt worden war, wurde die komplette Stadt zum Judenghetto umfunktioniert. Die jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus Aachen, die am 25. Juli 1942 deportiert wurden, waren vorher im Israelitischen Altersheim und verschiedenen sogenannten „Judenhäusern“ unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht worden.

Darunter waren auch Emil Katzenstein und seine Frau Selma, geborene Strauss. Emil Katzenstein, der am 17. Januar 1872 in Warendorf in Westfalen geboren wurde, lebte schon seit mindestens 1910 in Aachen. Selma war am 15. September 1880 in Wuppertal-Elberfeld geboren. Emil und Selma Katzenstein waren die Besitzer des Geschäfts „Hermanns & Froitzheim. Wäsche, Handschuhe und Herrenartikel“ im Kapuzinergraben 5 in Aachen, das 1938 „arisiert“ wurde und zu Ramschpreisen an den Nachbesitzer abgegeben werden musste.

Die Eheleute Katzenstein kümmerten sich fürsorglich um ihre Angestellten, besonders um ein Lehrmädchen, das seit 1919 bei ihnen arbeitete und bald schon seine Eltern und zwei Geschwister verlor. Dieses Lehrmädchen, eine spätere Nachbarin der Katzensteins, gab ihre Erinnerungen später an ihre Töchter Margret Steinbeck und Ursula Manten-Steinbeck weiter, die sich auch selbst noch an das Ehepaar Katzenstein erinnern und ihre Erinnerungen dem „Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen“ zur Verfügung gestellt haben:

„Es traf sich gut, dass der Wohnsitz unserer Eltern an Siegel (Horst-Wessel-Straße 98, heute Kalverbenden 98), nur wenig vom Haus der Eheleute Katzenstein, Monschauer Straße 1, unmittelbar an Siegel, entfernt war. Unsere Mutter besuchte regelmäßig die Eheleute, und wir Kinder nannten sie ‚Onkel’ und ‚Tante’.“

Solange Selma und Emil Katzenstein unbehelligt von den Nationalsozialisten an Siegel wohnten, beschäftigten sie eine ständige Haushaltshilfe und einen Gärtner. Gelegentlich halfen die Nachbarn Steinbeck aus, wenn zum Beispiel am Sabbat ein Kohleofen oder der Kamin ausging und die Katzensteins als gläubige Juden das Feuer selbst nicht neu entfachen durften.

Die Eheleute Katzenstein mussten schließlich zwangsweise zusammen mit vielen anderen jüdischen Menschen aus ihrer Wohnung in das nahe gelegene jüdische Altersheim in der Horst-Wessel-Straße unterhalb des Vinzenz-Heimes umziehen.

Die Nachbarn versuchten, Selma und Emil Katzenstein zu unterstützen, die im jüdischen Altersheim sehr beengt wohnten und mit zu wenig Nahrung versorgt wurden. Die Hilfeleistung wurde jedoch strikt unterbunden, so dass Frau Steinbeck einen Treffpunkt am Maschendrahtzaun mit Selma Katzenstein vereinbarte, wo man sich zur Übergabe von kleinen Päckchen traf.

Weil die Nachbarn durch Spitzel aus der Nachbarschaft mit einer Anzeige bedroht wurden, schickten sie ihre beiden Töchter mit dem Roller zur Übergabe an den Zaun. Die Steinbecks blieben jedoch den Eheleuten bis zur Deportation am 25. Juli 1942 tatkräftig verbunden.

Wenige Tage vor der Deportation ließ sich Selma Katzenstein einige wenige Dinge bringen, von denen sie dachte, sie könnten für den bevorstehenden Transport hilfreich sein. Darunter war ein Kindertöpfchen. Auch bei der Verladung zur Deportation war die Nachbarin dabei und berichtete später, dass Emil und Selma Katzenstein fest davon ausgingen, unbehelligt nach Aachen zurückzukehren. Frau Katzenstein habe ihr Mut zugesprochen: „Wir haben niemand Böses getan, so wird auch uns niemand etwas zuleide tun.“

Emil Katzenstein wurde am 1. April 1943, Selma Katzenstein am 6. April 1942 in Theresienstadt ermordet.

Lebensgeschichten der ermoderten Aachener Juden

„Das Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen e.V.“ hat sich zum Ziel gesetzt, an die Aachener Bürgerinnen und Bürger zu erinnern, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden.

In bisher drei Biografienbänden werden nach und nach die Lebensgeschichten der ermordeten Aachener Jüdinnen und Juden veröffentlicht. Das Gedenkbuchprojekt freut sich immer über das Interesse von Zeitzeugen, die sich an ihre jüdischen Nachbarn oder Freunde in Aachen erinnern.

Für Rückfragen: info@gedenkbuchprojekt.de oder Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoah aus Aachen e.V., Tel.: 015229257028; www.gedenkbuchprojekt.de

„Wir haben niemand Böses getan, so wird auch uns niemand etwas zuleide tun.“

Selma Katzenstein kurz vor der Verladung zur Deportation

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