Der neue Namensgeber einer Aachener Kaserne: Soldat, Wissenschaftler, Aachener – und Jude

Mi, 22. Jan. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / Spezial / Seite 8

Zur Person

Der neue Namensgeber: Soldat, Wissenschaftler, Aachener – und Jude

Die vormalige Gallwitz-Kaserne ist nun nach Dr. Leo Löwenstein benannt. Die Begründung der Bundeswehr für den Wechsel fällt allerdings arg nüchtern aus.

E Mensch: Leo Löwenstein wurde am 8. Februar 1879 in Aachen geboren. Er hatte mit seiner Frau Anna die beiden Töchter Marianne und Kathe­rine. Löwenstein leistete später Zwangsarbeit in Berlin und wurde 1943 mit seiner Frau in das KZ Theresienstadt deportiert. Nach der Befreiung lebten sie in Schweden und Norwegen, ab 1954 in der Schweiz.

E Soldat: Löwenstein trat 1901 als Freiwilliger in die Bayerische Telegrafen-Kompanie ein und wurde 1902 zur Reserve entlassen. Ab dem 6. August 1914 nahm er in einem Nachrichten-Bataillon am Ersten Weltkrieg teil. 1916 wurde er zum Hauptmann der Reserve befördert. Für seine Verdienste wurde ihm das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen.

E Forscher: Dem promovierten Chemiker wurden in der Zeit von 1905 bis 1942 mehr als 25 Patente erteilt. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges erfand er das „Schallmessverfahren“, mit dem es möglich war, den Standort einer Schallquelle, zum Beispiel einer feuernden Kanone, zu ermitteln. Das Messsystem bestand aus vielen präzisen Mikrofonen. In modernisierter und verfeinerter Form wird es von verschiedenen Armeen noch heute benutzt.

E Initiator: Löwenstein gründete im Februar 1919 einen jüdischen Soldatenbund, der sich 1920 mit anderen Ortsgruppen zum Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) zusammenschloss. Sein Ziel war die Wahrung der Ehre aller jüdischen Frontsoldaten. Der Reichsbund umfasste Mitte der zwanziger Jahre 60 000 Mitglieder.

Von Christian Rein

Aachen. Es ist nicht recht überliefert, was Leo Löwenstein für ein Mensch war. Auch seine Enkel tun sich an diesem Nachmittag schwer, den Mann zu charakterisieren, der im Mittelpunkt der Veranstaltung steht. Den Mann, nach dem seit gestern eine Kaserne in seiner Geburtsstadt Aachen benannt ist. Irene Hollander und Dan Löwenstein, die extra aus Jerusalem und aus Helsingborg für den Ehrentag ihres Großvaters angereist sind, waren schlicht noch Kinder, als sie Leo Löwenstein erlebten. Und doch sind die Ausführungen der Enkel die bewegendsten Momente der Feierstunde, mit der die Namensänderung der Kaserne begangen wird. Als „starken Charakter“ würdigt Irene Hollander ihren Großvater, als aufrichtigen Mann mit einem ausgeprägten Sinn für Ehrlichkeit, als Respektsperson: Gibt es bessere Gründe, sich so jemanden als Namensgeber auszusuchen? Wohl kaum. Aber das wichtigste Merkmal an der Person Leo Löwenstein, das auch die Namensände rung der Kaserne wirklich besonders macht, ist ein anderes: Er war Jude.

Das Erstaunlichste an der Namensänderung wiederum ist, dass diese Tatsache für die Bundeswehr nur eine untergeordnete Rolle spielt. Immerhin: Es hat die Entscheidung für Leo Löwenstein „bestärkt“, wie Brigadegeneral Michael Hochwart sagt. Er ist Kommandeur der Technischen Schule Landsysteme und Fachschule des Heeres für Technik, zu der die Löwenstein-Kaserne gehört.

Bislang hatten nur ausgesprochen wenige der knapp 400 Bundeswehr-Standorte einen jüdischen Namensgeber. Genau gesagt waren es zwei: die Wilhelm-Frankl-Kaserne in Neuburg an der Donau (Baden-Württemberg) und die Dr.-Julius-­Schoeps-Kaserne in Hildesheim (Niedersachsen), die jedoch im Jahr 2003 im Zuge der Truppenreduzierung geschlossen wurde. Seit gestern nun heißt die bisherige Gallwitz-Kaserne in Aachen Dr.-Leo-Löwenstein-Kaserne.

Was hat zur der Namensänderung geführt? Als der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière im vergangenen Sommer Aachen besuchte, sagte er: „Der Name einer Kaserne soll für die Soldaten Vorbild sein und nicht Problem.“ Der Name Gallwitz-Kaserne war aber Problem. Denn der Armeeführer im Ersten Weltkrieg und General der Artillerie Max von Gallwitz (1852-1937) war ein Antidemokrat und ein Antisemit.

Das festzustellen, überlässt Brigadegeneral Hochwart freilich anderen, zum Beispiel dem Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp: „Wer in den Jahren der ersten deutschen Demokratie an einer Gründungsversammlung eines antidemokratischen Bündnisses wie der Harzburger Front teilnahm und im Ruf steht, ein Antisemit zu sein, kann kein Vorbild für unsere Soldaten sein“, attestiert er von Gallwitz. „Und wenn der Name einer Kaserne für die Soldaten zum Problem wird, ist dies zugleich auch ein Problem für die Stadt, in der sich die Kaserne befindet.“

Angesichts solch klarer Worte mutet die Begründung, die Hochwart für die Umbenennung liefert, nüchtern an. Der Kommandeur bezieht sich lediglich darauf, dass von Gallwitz Artillerist gewesen sei: „Bei uns hier in Aachen gibt es nunmehr seit 1969 keine Artillerie mehr. Die Stadt ist aber seit 1962 Heimat der Instandsetzungstruppe. Mit dem Namen Gallwitz verbinden unsere Soldaten kaum mehr etwas.“ Der neue Namensgeber sollte entsprechend verdienter Soldat sein, Techniker, Ingenieur oder Wissenschaftler, verdienter Bürger des Landes und einen Bezug zu Aachen haben. Und nach diesen Kriterien sei man auf Löwenstein gekommen. Das klingt reichlich pragmatisch.

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