Mi, 7. Okt. 2015
Aachener Nachrichten – Stadt / Region AN Titel / Seite 9
„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es Tote gibt“: Die Zahl der Vorfälle häufen sich, die Auseinandersetzungen werden brutaler. Gekämpft wird um das Revier der Aachener Bandidos, die 2012 verboten wurden.
Von Laura Beemelmanns und Claudia Schweda
Stolberg/Aachen. Heute vor genau einem Monat ist der Aachener Polizeipräsident vor die Presse getreten: „Wir stehen den Rockern auf den Füßen“, kündigte Dirk Weinspach damals an, „ und wir werden alles tun, um eine weitere Eskalation zu verhindern.“ Offenbar ist das der Polizei im Rockerkrieg im Raum Aachen nicht gelungen. Ganz im Gegenteil: Nachdem in Stolberg 30 gewaltsam auftretende Menschen in der Nacht zu Dienstag ein Internetcafé in der Altstadt auseinandergenommen haben, sprach die Polizei von einem möglichen „Warnschuss“. „Das brodelt“, sagte der Sprecher der Aachener Polizei, Paul Kemen, gestern. „Es ist davon auszugehen, dass da noch weitere Aktionen folgen werden.“ Aktionen, wie sie im niederländischen Südlimburg in der Auseinandersetzung zwischen Hells Angels und Bandidos inzwischen an der Tagesordnung sind.
Auch im Raum Aachen geht es um diese beiden Clubs. Und der Abstand zwischen einzelnen Ereignissen in Zusammenhang mit ihnen wird immer kürzer. Die Akteure kommen dabei auch aus weit entfernten Gegenden: Aus dem Ruhrgebiet bis hin zum hessischen Gießen würde Verstärkung geholt, sagte Kemen. Vor Ort gibt es nach Erkenntnissen der Polizei nur etwa 20 bis 40 Anhänger der beiden Rockerclubs. „Die Besetzung wechselt ständig.“ Aachen ist Schauplatz der Machtdemonstration, weil dort nach dem Verbot des örtlichen Bandidos-Chapters im April 2012 ein Vakuum entstand, in das nun andere stoßen wollen.
Nach einer verhältnismäßig ruhigen Phase eskaliert die Lage seit Anfang August mehr und mehr. Am 2. August tauchten 50 Bandidos wie aus dem Nichts im Aachener Ostviertel auf – dem Revier der Hells Angels Turkey Nomads. Eine Machtdemonstration auf fremdem Hoheitsgebiet, die die Hells-Angels-Anhänger sofort auf den Plan rief. Weil Anwohner, die eine Massenschlägerei fürchteten, die Polizei alarmierten, war der Spuk schnell beendet. Am 6. September dann kam es an einer Tankstelle nicht weit entfernt vom ersten Tatort zur Schlägerei, Messer wurden gezückt, zwei Bandidos verletzt, einer der Hells Angels wurde kurz darauf mit einer Stichverletzung in ein Krankenhaus eingeliefert. Ein Zusammenhang ist naheliegend. Seitdem kommt es immer wieder zum offenen Schaulaufen der beiden Rockerclubs an gleicher Stelle.
Handgreiflich wurde es wieder am Montagnachmittag, als auf der Aachener Automeile – unweit des Ostviertels – zwei Anhänger der Hells Angels Turkey Nomads von sieben Bandidos attackiert wurden. Die zwei Attackierten trugen Gesichtsverletzungen davon. Einer musste ins Krankenhaus gebracht werden. Die acht Stunden später folgende Tat um Mitternacht in Stolberg wirkt wie ein Racheakt der Turkey Nomads, die auf der Automeile unterlegen waren: Das Internetcafé gilt als Treffpunkt der Bandidos. Ob das tatsächlich so ist, werden wohl auch die Ermittlungen kaum ergeben: „Wir stoßen auf eine Mauer des Schweigens“, sagte Kemen.
Offensichtlich ist, dass die Schaufensterscheiben des Cafés eingeschlagen und Teile der Einrichtung demoliert wurden. Außerdem wurden laut Polizei Gaskartuschen bei der Verwüstung eingesetzt – vermutlich Tränengas. Die Angst unter Anwohnern und Gewerbetreibenden in diesem Viertel wächst.
„Wir bewegen uns inzwischen auf der nächst höheren Eskalationsstufe“, sagte der Polizeisprecher. Es werde massiv Gewalt angewendet, Menschen würden niedergeknüppelt und ein ganzes Lokal auseinandergenommen. Ehrliche Besorgnis klingt mit, wenn er sagt: „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es Schwerverletzte oder sogar Tote gibt.“
Heinsberg: Andere Rocker, noch mehr Brutalität
Völlig unabhängig von den Vorgängen im Aachener Raum ist eine zweite Rockerfront zu betrachten, die derzeit der Polizei in Heinsberg und Mönchengladbach Sorgen bereitet: Dort wird eine Auseinandersetzung zwischen Hells Angels auf der einen und MC Gremium und Outlaws auf der anderen Seite mit äußerster Brutalität geführt.
Der Streit begann Mitte Juli, als ein Gremium-Mitglied aus Heinsberg zusammengeschlagen und ihm seine Kutte geraubt wurde. Ende Juli gab es eine Explosion am Outlaw-Vereinsheim in Mönchengladbach und Schüsse auf ein Geschäft in Rheydt, das einem Hells-Angels-Mitglied gehören soll. Zwei Wochen später wurde das Vereinsheim der Outlaws in Hückelhoven-Baal mit einer Panzerfaust beschossen und ein Friseursalon in Erkelenz, dessen Besitzer den Outlaws zugerechnet wird. Ende August wurde ein Outlaw aus Baal von sieben Männern verfolgt, die ihn mit mehreren Messerstichen in die Arme und Beine schwer verletzten. Die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hält eine Verbindung zu den Hells Angels für wahrscheinlich. Aber wie jetzt auch in Stolberg schweigen Opfer und Täter eisern.