Do, 21. Nov. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2
„Der Westen hat in Syrien versagt“
Jörg Armbruster war für die ARD lange im Bürgerkriegsgebiet unterwegs – bis er schwer verletzt wurde. Der Nahost-Experte beklagt den wachsenden Einfluss von radikalen Islamisten auf die syrische Opposition.
Von Joachim Zinsen
Aachen. Der Karfreitag 2013 hat das Leben von Jörg Armbruster verändert. Wieder einmal auf Recherche in Syrien unterwegs, geriet der ARD-Korrespondent in Aleppo zwischen die Fronten der Bürgerkriegsparteien und wurde durch einen Heckenschützen schwer verwundet. Die Zeit der Genesung hat er dazu genutzt, ein Buch zu schreiben. In ihm schildert er seine Erlebnisse in Syrien und analysiert die Lage des Landes. Ein Gespräch mit dem Fernsehjournalisten.
Herr Armbruster, vor einem Jahr war Tenor der Syrien-Berichterstattung, dass der Sturz von Baschar al-Assad unmittelbar bevorstehe. Heute ist Assad immer noch an der Macht. Wie kam es zu der Fehleinschätzung?
Armbruster: Assad war damals tatsächlich auf dem Rückzug. Er musste heftige Schläge durch die Rebellen einstecken. Geändert hat sich das erst durch das Eingreifen des Irans und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Der Iran hat Assad weiter aufgerüstet, die Hisbollah unterstützt ihn seit Monaten mit Kämpfern. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Opposition völlig zerstritten ist. Die Rebellen kämpfen inzwischen heftiger untereinander als gegen Assad. Deshalb ist Assad heute wieder auf dem Vormarsch.
Wie stark ist der Rückhalt des Assad-Regimes in der syrischen Bevölkerung?
Armbruster: Das lässt sich so gut wie gar nicht beurteilen. Zum einen gibt es natürlich keine Umfragen. Zum anderen bekommen Journalisten, die in Damaskus mit der Bevölkerung reden, kaum ehrliche Antworten, weil bei den Gesprächen ständig ein Aufpasser des Regimes anwesend ist. Aber Assad hat sicherlich noch Anhänger.
Welche Bevölkerungsgruppen stehen hinter ihm?
Armbruster: Vor allem die religiösen Minderheiten. Die meisten Christen sind sicherlich keine glühenden Assad-Anhänger. Aber ihnen ist der wachsende Einfluss von radikal-islamistischen Dschihadisten auf der Rebellenseite unheimlich. Ähnlich sieht das die alawitische Minderheit, zu der ja auch Assad gehört. Selbst unter wohlhabenderen Sunniten finden sich Anhänger des Regimes. Im Grunde genommen suchen alle, die der Radikalisierung des Aufstandes ablehnend gegenüber stehen, eher ihr Heil bei Assad.
In ihrem gerade erschienenen Buch „Brennpunkt Nahost“ werfen sie dem Westen Versagen vor und machen ihn mitverantwortlich für die Zerstörung Syriens? Worin liegt in ihren Augen konkret das Versagen?
Armbruster: Der Westen hat zu lange auf die falsche Opposition gesetzt, nämlich auf die Exilopposition. Sie ist in Syrien inzwischen ohne jeden Einfluss. Zudem hat sich der Westen im UN-Sicherheitsrat die ganze Zeit hinter dem Veto der Russen versteckt und keine eigene Politik betrieben. Sicherlich ist es problematisch, sich über den Sicherheitsrat einfach hinwegzusetzen. Aber im Fall des Iraks ist das geschehen. Die Amerikaner haben dort gegen den Willen der UN eine Flugverbotszone durchgesetzt.
Wäre eine Flugverbotszone auch in Syrien machbar und sinnvoll gewesen?
Armbruster: Sinnvoll wäre zumindest eine große humanitäre Offensive des Westens im Norden Syriens gewesen. Er hätte dort Korridore für Flüchtlinge einrichten können, die durch eine Flugverbotszone hätten abgesichert werden müssen. Eine Flugverbotszone über dem gesamten Gebiet von Syrien wäre sicherlich eine sehr riskante Entscheidung gewesen. Der Westen hätte zudem zu Beginn des Aufstandes stärker über Waffenlieferungen an die gemäßigten Rebellengruppen nachdenken müssen. Jetzt ist es dafür zu spät.
Weil inzwischen islamistischen Organisationen wie der Al-Nusra-Front eine immer stärkere Rolle in der bewaffneten Opposition zufällt?
Armbruster: Ja. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass im Norden Syriens die Al-Nusra-Front und andere, noch radikalere, der Al-Kaida nahe stehende Gruppen, das Sagen haben. Selbst der Kommandant der Freien Syrischen Armee in Aleppo, einer gemäßigten Rebellengruppe, hat das Gebiet inzwischen verlassen, weil es ihm zu gefährlich geworden ist.
Der Aufstand gegen Assad begann mit Demonstrationen von friedlichen Oppositionsgruppen. Ist diese Bewegung mittlerweile zwischen den Fronten aufgerieben worden?
Armbruster: Es wird zwar über diese Bewegung kaum berichtet, aber es gibt sie noch. Die Richtung ihrer Demonstrationen hat sich allerdings geändert. Die Proteste richten sich nicht mehr allein gegen Assad, sondern auch gegen Al-Kaida. Nur fürchte ich, dass die Bewegung inzwischen keine große Rolle mehr spielt.
Ist der Syrien-Konflikt überhaupt auf dem Schlachtfeld zu lösen?
Armbruster: Auf keinen Fall. Deshalb ist die geplante, aber immer wieder verschobene Syrien-Konferenz in Genf so wichtig. Ich glaube zwar nicht, dass dort direkt die große Lösung für den Konflikt gefunden wird. Aber vielleicht ist sie ein Ansatz, überhaupt einmal nach einer diplomatischen Lösung zu suchen.
Warum sind Sie so skeptisch?
Armbruster: Weil die Opposition in sich völlig zerstritten ist. Die innersyrische Opposition verweigert bisher kategorisch die Teilnahme an der Konferenz und betrachtet jeden, der nach Genf gehen will, als Verräter. Die Exilopposition hat ihre Bereitschaft zu Gesprächen signalisiert, verlangt aber, Assad auszuschließen. Dabei ist klar: Wenn eine Lösung des Konflikts gefunden werden soll, dann muss nicht nur Assad, dann muss auch der Iran an der Konferenz teilnehmen.
Sollte die Konferenz platzen, wie sieht dann die Zukunft Syriens aus? Wird der Staat zerfallen?
Armbruster: Diese Gefahr besteht. Möglicherweise wird Syrien in einzelne Kantone zerfallen, die sich gegenseitig bekämpfen. Bei meinem letzten Aufenthalt in Syrien hat mir ein Islamistenführer erklärt, man werde nach dem Sturz von Assad den Krieg gegen die Alawiten weiterführen. Mehrere Massaker in Alawiten-Dörfern, die es den vergangenen Monaten gab, haben angedeutet, dass dies nicht einfach nur dahingesagt war.
Bei ihrem letzten Aufenthalt in Syrien sind Sie Karfreitag 2013 mit Ihrem Kamerateam zwischen die Fronten geraten und schwer verletzt worden. Werden Sie trotzdem versuchen, wieder aus Syrien zu berichten?
Armbruster: Nein, auf keinen Fall. Ich habe nicht vor, mein Leben nochmals zu riskieren. Das will ich auch meiner Frau nicht antun. Im Augenblick geht kein Journalist ins syrische Rebellengebiet. Dort ist es durch die Dominanz der Al-Kaida-Gruppen viel zu gefährlich geworden.
Hat die schwere Verwundung Ihren Blick auf den Syrien-Konflikt verändert?
Armbruster: Nein, aber den Blick auf mich selbst.
Armbruster stellt in Aachen sein Syrien-Buch vor
Jörg Armbruster war jahrelang Korrespondent der ARD für den Nahen und Mittleren Osten. Mehrfach hat der 65-Jährige in dieser Zeit das syrische Bürgerkriegsgebiet bereist und dort Reportagen gedreht. Inzwischen hat er auch ein Buch über den Konflikt geschrieben. „Brennpunkt Nahost – Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens“ ist vor wenigen Tagen im Westend-Verlag (Frankfurt) erschienen.
Aus seinem Buch liest Armbruster am Freitag, 22. November, in Aachen. Anschließend stellt er sich der Diskussion. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr im Forum (Raum 241) der Volkshochschule, Peterstr. 21 – 25. Der Eintritt ist frei. (jozi)
Kommentar: Das Versagen des Westens ist nicht zuletzt auf den schlechtesten Außenminister Deutschlands seit 1945, Herrn Westerwelle, zurück zu führen.