Do, 9. Jan. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2
Frankreich debattiert hitzig über Provokateur
Regierung möchte den antisemitischen Komiker Dieudonné zum Schweigen bringen. Der wehrt sich.
Von Sabine Glaubitz
Paris. Seit Jahren gefällt sich der französische Komiker Dieudonné in der Rolle des Provokateurs. „Der Holocaust hat uns viel gekostet. Wir zahlen noch immer“, gibt der Kabarettist in seiner neuen Show zum Besten. Oder „Was für ein Projekt haben die Neonazi 2013? Seife aus der Crème de la Crème des französischen Showbusiness zu machen?“ Frankreichs Innenminister Manuel Valls möchte die Auftritte Dieudonnés am liebsten verbieten. Der kontert, er werde gerichtlich dagegen vorgehen.
Es ist nicht das erste Mal, dass der 47-Jährige wegen antisemitischer Parolen ins Kreuzfeuer der Justiz gerät. Wegen Anstiftung zu Hass und rassistischen Äußerungen wurde er bisher zu insgesamt 65 000 Euro verurteilt. Sein Lied „Shoananas“, ein Wortspiel aus „Shoah“ und „Ananas“, mit dem er den Völkermord banalisiert, wird bei fast allen Auftritten gesungen. Und seine Grußgeste „Quenelle“, die je nach politischem Hintergrund als Akt des Widerstands oder als verkappter Hitlergruß verstanden werden kann, hat sich mittlerweile verselbstständigt.
Den „Gottgebenen“, wie Dieudonné auf Deutsch heißt, will die Regierung nun zum Schweigen bringen. „Angesichts des Antisemitismus, angesichts der Störungen der öffentlichen Ordnung, die durch unwürdige Provokationen hervorgerufen werden, (…) fordere ich die staatlichen Vertreter und insbesondere die Präfekten auf, wachsam und unnachgiebig zu sein“, erklärte Präsident François Hollande. In einem Rundbrief forderte er Bürgermeister und Präfekten des Landes auf, bei erkennbarer Störung der öffentlichen Ordnung die Gastspiele des Komikers verbieten zu lassen. Viele Städte, darunter Bordeaux und Tours, sind dem Aufruf bereits gefolgt.
Valls hat den Sohn eines Kameruners und einer Bretonin seit mehreren Wochen im Visier – nicht zuletzt wegen des französischen Fußballprofis Anelka. Der Nationalspieler sorgte für Schlagzeilen, weil er den „Quenelle“-Gruß zeigte: einen stramm nach unten ausgestreckten Arm, auf den sich die linke Hand legt. Seit Wochen mehren sich auf Facebook und Twitter Fotos junger Franzosen, die sich mit dieser Geste abbilden lassen. In Frankreich diente sie einer antizionistischen Partei, für die Dieudonné 2009 bei den Europawahlen kandidierte, als Symbol.
Seine Karriere begann er an der Seite seines Jugendfreundes, dem jüdischen Komiker Élie Semoun, als Kritiker von Rechtsextremismus und Rassismus. Heute steht der 47-Jährige der rechtsextremen Front National nahe. Deren Gründer Jean-Marie Le Pen ist Patenonkel eines seiner Kinder. Offen sympathisierte er mit dem iranischen Regime, das für seinen Antisemitismus bekannt ist. Sein 2012 gedrehter Film „Antisémite“ soll nach einem Bericht der Zeitung „Libération“ mit Geldern aus dem Umfeld des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad finanziert worden sein.
Bislang ließ Frankreich die antisemitischen Parolen Dieudonnés meist durchgehen. Diesmal scheint die französische Regierung Ernst machen zu wollen. Doch der bullige Komiker weiß sich zu wehren. Sein Anwalt reichte am Dienstag Klage gegen Innenminister Valls ein – wegen Verletzung der Meinungsfreiheit.
Die französische Zeitung „L‘Alsace“ kommentiert
„Dieudonné ist weder ein Komiker noch ein Märtyrer. Er ist ein Schmierenkomödiant, der sein Repertoire gefunden hat – das Abscheuliche. Daraus schlägt er seit Jahren Kapital. Zuerst hatte er Mühe, ein Publikum zu finden, doch er hat es immer weiter versucht – in der Hoffnung, dass ihm seine Entgleisungen helfen würden, zu finden, was er wollte: Ruhm. Das ist geschafft! Zwar klingen die Trompeten dieses Ruhms falsch, doch es ist leider schwer, sie verstummen zu lassen. Innenminister Manuel Valls wollte diesen unheilvollen Vorsänger des Antisemitismus zum Schweigen bringen. Das war ein Fehler. Denn das wird den Provokationen nur noch mehr Gehör verschaffen.“