Di, 29. Okt. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokaltitel Aachen / Seite 13
Polizei will die Kontrollen weiter verstärken
Beamter im Elsassviertel wurde von einer Gruppe junger Männer verfolgt. Rückzug angesichts der Übermacht. Hohe Kriminalität.
Von Heiner Hautermans
Aachen. Normalerweise gibt es bei einer Verfolgungsjagd nur eine Bewegungsrichtung: Die Polizei ist hinter einem Verdächtigen oder Verbrecher her. Am Donnerstag gegen 19 Uhr im Elsassviertel war alles anders: Die Besatzung eines Streifenwagens entdeckt auf einer Routinefahrt einen 20-Jährigen, der gerade ein Lokal verlässt und per Haftbefehl gesucht wird. Der junge Mann ergreift angesichts der Uniformierten die Flucht. Ein Beamter macht sich zu Fuß an seine Verfolgung, der Fahrer versucht ihm mit dem Streifenwagen den Weg abzuschneiden, was sich aber wegen der baulichen Gegebenheiten als unmöglich erweist. Er verliert seinen Kollegen aus den Augen.
Dieser passiert auf seiner Verfolgung eine Gruppe von zehn bis 15 jungen Männern, die sich ihrerseits auf die Hatz nach dem Beamten machen – verkehrte Welt. Die jungen Männer hätten ihn beschimpft und gedroht, ihn umzubringen, gibt der Beamte später zu Protokoll. Der 20-Jährige konnte schließlich flüchten, der Beamte sich vor der Gruppe junger Männer in Sicherheit bringen.
Die Polizei zieht sofort weitere Kräfte hinzu, die sich aber in der Dunkelheit ebenfalls einer Übermacht von bis zu 60 Personen, die sich teilweise aggressiv verhalten, gegenübersehen. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, sehen die Ordnungshüter von weiteren Maßnahmen ab. Sprecherin Sandra Schmitz: „Das Aufkommen unbeteiligter Passanten um diese Uhrzeit in der belebten Elsassstraße ließ keine andere Entscheidung zu.“
Die Polizei verweist darauf, dass dieser Vorfall eine längere Vorgeschichte hat. Sprecher Paul Kemen: „Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ostviertel einen hohen Anteil an der Kriminalitätsstatistik hat.“ Diesem Schwerpunkt trage die Polizei Rechnung, indem sie verstärkt Einsätze fahre: „Es ist eigens ein Konzept entwickelt worden, um das Sicherheitsgefühl zu stärken und die Kriminalität in den Griff zu bekommen.“
Wilma Emmerich vom Seniorenbeirat hat nach der Hetzjagd beispielsweise einen Brief an Polizeipräsidenten Klaus Oelze geschrieben, in dem sie von nicht mehr tragbaren Zuständen im Ostviertel spricht. „Wir Bürger fühlen uns auf diesen Straßen nicht mehr sicher. Gerade die Elsassstraße mit den vielen Spielhallen sowie die Clubs mit der großen Außengastronomie bereitet uns große Sorgen. Der Elsassplatz ist fest in Dealerhand.“ Immer wieder erfahre sie als Anwohnerin selbst Kritik und Beleidigungen und werde in die Schublade gesteckt, ausländerfeindlich zu sein: „Dies möchte ich so nicht stehen lassen. Wir haben Kinder und Enkel und haben Sorge um ihre Zukunft. Es ist unsere Heimat, und wir möchten hier weiter leben.“ Darauf entgegnet Sprecher Kemen: „Es hat unzählige Eingriffe gegeben, in denen Personen kontrolliert, überprüft und Dealer festgenommen wurden. Wir wissen, mit welcher Klientel wir es dort zu tun haben. Es hat uns auch weh getan, dort eine Faust in der Tasche zu machen, aber jemanden um jeden Preis zu bekommen und eventuell Unbeteiligte in Mitleidenschaft zu ziehen, ist nicht die Arbeitsweise der Aachener Polizei.“
Im Jahr 2012 habe man beobachtet, dass sich verstärkt dort ansässige junge Leute gegen einschreitende Polizisten formierten, um ihre Maßnahmen zu erschweren. Daraufhin habe man reagiert, indem man die Kontrollen intensivierte, so dass sich die Entwicklung beruhigt habe. In diesem Zusammenhang hatte es aber auch massive Beschwerden gegeben, aber hier müsse klar gesagt werden, so Kemen weiter: „Duschen ohne nass werden gibt es nicht.“
Junge Leute aus dem Josefshaus klagten damals, dass sie sich durch die häufigen Kontrollen erniedrigt und auch körperlich massiv bedrängt fühlten. Die Drogenhändler seien jedoch clever und zögen sich zurück, wenn die Polizei auftauche. Die Jugendlichen erklärten, sie verstünden sich als Teil Deutschlands und wollten Polizeipräsident Oelze ins Josefshaus einladen. Dieser Besuch hat bislang jedoch nicht stattgefunden.
Keine rechtsfreien Räume
Die Aachener Polizei stellt auf alle Fälle klar, dass sie Vorfälle wie den vom letzten Donnerstag keinesfalls dulden und besonnen und konsequent dagegen vorgehen wird. Sprecherin Schmitz betont, dass „es keine rechtsfreien Räume gibt und die Behörde auch alles daransetzt, dass diese nicht entstehen“. Deshalb werde man die Kontrollen intensivieren.
GdP fordert Konsequenzen nach dem Angriff
Die Gewerkschaft der Polizei, Kreisgruppe Aachen, fordert, dass der „lebensbedrohliche Angriff nicht folgenlos bleiben darf“.
„Ein Glück, dass der geflüchtete Kollege jung und sportlich ist“, sagt der Aachener GdP-Vorsitzende Wilhelm Jensch: „Ich will mir nicht vorstellen, was hätte passieren können, wenn hier ein fast 60-jähriger Streifenbeamter im Einsatz gewesen wäre!“ Dass die Polizei den Rückzug angetreten habe, sei sehr umsichtig gewesen.
Nun seien der Polizeipräsident und der Minister gefordert, denn der Streifendienst sei der gefährlichste Arbeitsbereich der Polizei. 2012 seien mehr als 10 000 Polizisten im Dienst angegriffen worden. Deshalb müsse die personelle Ausstattung deutlich verbessert werden.(hau)