„Sieg für alle“ ist nur erster Schritt

Mo, 25. Nov. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

„Sieg für alle“ ist nur erster Schritt

Historischer Durchbruch: Unterhändler feiern die Einigung im Atomstreit mit dem Iran. Nach jahrelangen Verhandlungen und Drohungen könnte sich eine friedliche Lösung anbahnen. Aber das Misstrauen bleibt.

VON CÉCILE FEUILLATRE, FARSHID MOTAHARI UND CARSTEN HOFFMANN

Genf/Istanbul. Der Durchbruch kommt, als allen fast schon die Augen zufallen. Es ist 2 Uhr früh am Sonntagmorgen, fröhliche Partygäste aus der Karaoke-Bar ziehen an übermüdeten Journalisten in der Lobby des Genfer Hotels Intercontinental vorbei, da macht plötzlich ein Gerücht die Runde: Nach jahrelangem Ringen um das iranische Atomprogramm hat sich die Islamische Republik mit den UN-Vetomächten und Deutschland auf ein Übergangsabkommen geeinigt. Die Unterzeichnung des Deals im Genfer Palast der Vereinten Nationen räumt dann die letzten Zweifel aus.

Der Durchbruch macht zunächst alle beteiligten Staaten zu Gewinnern. Nach Jahren erbitterten Ringens, bei dem ein Krieg nie ausgeschlossen war, soll der Konflikt um das iranische Nuklearprogramm schrittweise beigelegt werden. Von einer „guten Nachricht für die Welt“ spricht der britische Außenminister William Hague. Sein russischer Kollege Sergej Lawrow ruft einen „Sieg für alle“ aus: „Es ist gelungen, eine der größten Aufgaben der Weltpolitik zu lösen.“ Zwar ist das für sechs Monate geltende Übergangsabkommen – Teheran friert sein Atomprogramm gegen Lockerung der Sanktionen ein – nur ein erster Schritt. Die Außenminister der fünf UN-Vetomächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich sowie Deutschlands (5+1) haben sich dafür aber über laute Bedenken Israels und der Golf-Araber hinweggesetzt. Sie geben Teheran die Chance zu einem Kurswechsel, dessen Glaubwürdigkeit die neue Führung unter Präsident Hassa n Ruhani nun beweisen muss.

Dass der Iran dafür nicht auf eine Urananreicherung bis fünf Prozent verzichten muss, wird von Teheran als außenpolitischer Triumph gefeiert. Tenor: Der Iran hat sein Ziel erreicht. Man wollte ein ziviles Atomprogramm haben, einschließlich Urananreicherung. Dies hat man bekommen – sogar mit dem Segen der USA und des Westens. Schließlich war dem Iran vor acht Jahren sogar die Uranumwandlung – eine Vorstufe der Urananreicherung – verboten worden. Bestände des auf 20 Prozent höher angereicherten Urans – davon soll es knapp 200 Kilo geben – müssen aber wieder auf unter fünf Prozent gestreckt oder weitgehend unschädlich gemacht werden.

Dazu kommen verstärkte internationale Inspektionen und Beschränkungen für den Bau des Reaktors Arak, in dem Plutonium anfallen könnte. So soll verhindert werden, dass der Iran an Atomwaffen arbeiten könnte. Heftig umstritten war die iranische „Habenseite“ einer Einigung. Die Wirtschaftssanktionen haben das Land hart getroffen. Die Menschen dort erwarten Erleichterungen. Der Iran braucht unbedingt eine Normalisierung des Ölexports, der Haupteinkommensquelle des Landes. Wegen der Banksanktionen können kaum Geschäfte gemacht werden. Unklar ist, wann ausländische Investoren zurückkehren.„Die Menschen, auch Ruhanis Anhänger, wollen ein Ende der Inflation und keine politischen Triumphe“, sagte ein Ökonom. „Die Sanktionen werden zunächst verringert, allmählich aber bestimmt aufgehoben“, sagte er.

Das Kalkül der westlichen Unterhändler: Teheran muss an weiteren Fortschritten interessiert sein. Die Weltmächte wollen sicherstellen, dass sie in Genf nicht zum Narren gehalten worden sind. Allerdings gelten auch die Chancen des nun beschrittenen Weges als groß. Staatspräsident Ruhani twitterte während der Verhandlungen: „Ein Abkommen könnte Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit (mit dem Westen) werden und daher sowohl regionalen als auch internationalen Interessen dienen.“ Nicht nur die iranische Führung hofft, dass sich die Beziehungen insgesamt verbessern können. Ein erster Prüfstein dafür könnten internationale Bemühungen um eine Lösung für den Bürgerkrieg in Syrien sein, wo Teheran im Assad-Regime einen Verbündeten hat. ▶ Kommentar S. 2

„Es ist gelungen, eine der größten Aufgaben der Weltpolitik zu lösen.“

Russlands Aussenminister

Sergej Lawrow

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