Wenn die Ausnahme zur Regel wird Die personelle Situation der Aachener Bundespolizei ist seit Jahren katastrophal. Der Kontrollverlust an den Grenzen hält an

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Wenn die Ausnahme zur Regel wird
Die personelle Situation der Aachener Bundespolizei ist seit Jahren katastrophal. Der Kontrollverlust an den Grenzen hält an .

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14.10.2017

Wenn die Ausnahme zur Regel wird

Die personelle Situation der Aachener Bundespolizei ist seit Jahren katastrophal. Der Kontrollverlust an den Grenzen hält an .

Von Marlon Gego

Aachen/Heinsberg. Dass der Kontrollverlust an den deutschen Grenzen im Herbst 2015 kein Zufall war, sondern weiter anhält, zeigte sich in einer Nacht Anfang Juli in Aachen. Über den belgisch-deutschen Grenzübergang auf der A 44 fuhren mehrere Busse nach Deutschland. In den Bussen saßen Kurden, die von einer Demonstration in Paris zurückkehrten. Viele dieser Kurden besaßen in Deutschland nur eine Duldung, die beim Verlassen des Landes erlischt. Viele dieser Kurden hätten also gar nicht wieder einreisen dürfen. Weil die Bundespolizei in dieser Nacht im Rahmen der Kontrollen vor dem G20-Gipfel in Hamburg zufällig die Grenze überwachte, wurden einige, aber lange nicht alle der Busse tatsächlich kontrolliert. Die Beamten registrierten mehr als 180 unerlaubte Einreisen. Sie schrieben Anzeigen – und ließen die Busse einfach weiterfahren.

Mangelverwaltung in Aachen

Die Situation an den deutschen Grenzen ist weiter prekär. Aus dem Herbst 2015, als Hunderttausende Flüchtlinge weitgehend unkontrolliert nach Deutschland kamen, hat die Bundesregierung bislang keine Konsequenzen gezogen. Am prekärsten ist die Situation sehr wahrscheinlich zwischen Monschau und Wassenberg, also in dem Bereich, für dessen Überwachung die Beamten der Bundespolizeiinspektion Aachen verantwortlich sind.

Über die desolate Personalsituation der Aachener Behörde ist viel berichtet worden, nur 160 der 290 Planstellen sind derzeit besetzt. Dabei stammt der Personalansatz von 290 Stellen aus dem Jahr 2008, als sich eine Flüchtlingskrise überhaupt noch nicht abzeichnete. Bundestagsabgeordnete aus der Region Aachen, Düren, Heinsberg haben sich wiederholt bei Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für eine personelle Aufstockung der Inspektion stark gemacht, doch passiert ist bis heute so gut wie nichts. Die Situation ist de facto eher noch schlechter geworden.

In der Inspektion Aachen, die Roland Goerke Anfang 2017 als Leiter übernommen hat, ist seine eigentliche Aufgabe, den personellen Mangel zu verwalten. Seine Vorgänger versuchten noch, mit wenig Personal dennoch alle Aufgaben zu erfüllen. Dadurch wurde das Kontrollnetz an den Grenzen immer grobmaschiger. Deswegen hat Goerke jetzt einen anderen Plan entwickelt: Mit Schwerpunkteinsätzen will er gezielt gegen Schleuserkriminalität, illegale Einreisen und andere Delikte im Zusammenhang mit Grenzübertritten vorgehen. Also nicht wie bisher mit wenig Personal täglich stichpunktartig kontrollieren. Sondern mit viel Personal an einzelnen Tagen an einzelnen Orten lückenlos kontrollieren. Und zwar so, dass es für Schleuser- oder andere kriminelle Banden nicht vorherzusehen ist.

Mit dem Modell der Schwerpunkteinsätze hat die Aachener Landespolizei, also das Polizeipräsidium Aachen, gute Erfahrungen gemacht. In diesem Jahr sind sowohl die Zahl der Wohnungseinbrüche als auch die Zahl der Autodiebstähle nennenswert zurückgegangen. Ob das auf die polizeiliche Arbeit allein zurückzuführen ist, steht nicht fest. Aber sicher ist, dass sie einen Anteil am Erfolg hat.

Die Aachener Bundespolizei hat in den vergangenen Monaten wieder steigende illegale Einreisen registriert, vor allem aus Afrika. In Italien gestrandete Flüchtlinge machen sich vermehrt auf den Weg nach Mitteleuropa, der Druck auf die deutschen Grenzen steigt. Allein im Aachener Raum wurden 2017 bis Ende August mehr als 1420 illegale Einreisen festgestellt.

Im gesamten Jahr 2016 waren es knapp 1700 gewesen. Wie viele Menschen aufgrund des relativ niedrigen Kontrolldrucks der personell gebeutelten Aachener Bundespolizei tatsächlich mit dem Zug, dem Auto, in Bussen oder mit Mitfahrzentralen einreisten, lässt sich kaum seriös errechnen.

Dabei sollen Grenzkontrollen nicht in erster Linie als Sperren dienen. Es geht darum zu überprüfen, wer ins Land kommt. Als die Aachener Bundespolizei, unterstützt von Kollegen aus ganz NRW, nach den Pariser Anschlägen im November 2015 wenigstens kurze Zeit lang die Grenzen kontrollierte, fasste sie in wenigen Wochen Einbrecher, Schleuser, Autodiebe und Hunderte Menschen, die mit Haftbefehl gesucht wurden. Dieser kurze Zeitraum hat deutlich gemacht, was an den Bundesgrenzen los ist.

Offene Grenzen ein Problem

Die Zahl der gestellten Asylanträge gibt nur bedingt Aufschluss über die tatsächliche Zahl der illegalen Einreisen. Denn unter den Migranten sind nicht wenige, die gar keinen Asylantrag stellen und deswegen erst dann in die Statistik eingehen, wenn sie anderweitig registriert werden: von den Kommunalverwaltungen oder von der Polizei. Bis das passiert, können Jahre vergehen.

Auch die Gewerkschaft der Polizei hat wiederholt auf die offenen Grenzen im Westen der Republik und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken hingewiesen. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um illegale Migration, sondern um Wohnungseinbrüche, Autodiebstähle und Banküberfälle beziehungsweise Automatensprengungen. Die meisten Täter in diesen Bereichen nutzen die Grenzsituation bewusst aus. Die Einbrecherbanden kommen in der Regel über die belgische Grenze, die Automatensprenger und Autodiebe über die holländische Grenze nach Deutschland. Nach den Taten kehren sie über die Grenzen wieder zurück, was die Strafverfolgung erheblich erschwert.

Ein Bereich, in dem die Strafverfolgung wegen der schieren Masse der Fälle fast vollständig aufgegeben wurde, ist die illegale Einreise nach Deutschland. Die 180 Anzeigen zum Beispiel, die die Aachener Bundespolizei wegen der illegalen Einreise der Kurden Anfang Juli geschrieben hat, sind inzwischen bei der Aachener Staatsanwaltschaft. Dass sich auch nur einer der angezeigten Menschen wegen der illegalen Einreise vor Gericht wird verantworten müssen, ist extrem unwahrscheinlich.

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