„Wir müssen versuchen, einen Weg zu finden“

Sa, 16. Nov. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokaltitel Aachen / Seite 17

„Wir müssen versuchen, einen Weg zu finden“

Geschäftsleute im Ostviertel klagen über starke Umsatzeinbußen durch die zahlreichen Polizeikontrollen. Nach ihren Worten leidet der gesamte Bereichunter dem Fehlverhalten einer kleinen Gruppe. OB zu Besuch im Kennedy-Grill.

Von Heiner Hautermans und Georg Dünnwald

Aachen. Eigentlich stehen die Bewohner des Ostviertels der Polizei positiv gegenüber, zumindest die Mehrheit. Seit dem 24. Oktober aber, seit dem Tag, als ein Polizist von einer Gruppe von zehn bis 15 jungen Leuten verfolgt wurde und fast täglich kleinere und größere Kontrollaktionen dort stattfinden, ist das Vertrauen in die Ordnungshüter drastisch gesunken.

„Das positive Image ist weg“, beschreibt es etwa Aynur Kazak, Betreiberin des Kennedy-Grills. Seit 25 Jahren lebt und arbeitet sie an der Elsassstraße, hat drei Kinder dort großgezogen und steht jetzt abends däumchendrehend da: Die Kunden bleiben weg: „Wir haben enorme Rückgänge.“ Die Auswirkungen der Eskalation träfen nämlich nicht nur sie, sondern auch den Arzt, den Apotheker oder den Drogeriemarkt in der Straße.

Kein Dialog mehr

„Wenn zehn oder 15 Leute aus der Reihe tanzen, kann nicht ein gesamtes Viertel darunter leiden. Das sind Kriminelle, wir sind es nicht“, formuliert es Fehmi Yaman: „Was uns auffällt, ist, dass der Dialog nicht geführt wird.“ Der Student ist befreundet mit dem Inhaber der Shisha-Bar „Relaix“ am Adalbert­steinweg, die vor einer Woche abends gefilzt wurde. In einer unschönen Art und Weise, erinnert sich Sergin Tahmiscioglu, der das Lokal gegenüber der Osthalle erst vor einigen Wochen übernommen hat.

Shisha-Bars erfreuen sich zunehmender Beliebtheit bei Jugendlichen, die sich dort zu gemütlicher Konversation („Chillen“) und zum Rauchen der Wasserpfeife treffen. Das sei auch nach der Verschärfung des Nichtraucherschutzgesetzes erlaubt und mit dem Ordnungsamt abgestimmt, berichtet der 26-Jährige: „Wir benutzen mit Aromen versetzte Dampfsteine, keinen Tabak.“

Sergin Tahmiscioglu hat sich neben seinem Studium (International Business) an der FH Aachen, das er nächstes Jahr in den USA abschließen will, selbstständig gemacht und legt einige geschäftliche Aktivitäten an den Tag. Unter anderem ist er Geschäftsführer einer Werbetechnik-Firma, veranstaltet große Events in Aachen und ist als Integrationsbeauftragter einer deutsch-türkischen Plattform quasi automatisch „gegen Kriminalität im Ostviertel“.

Am Donnerstag letzter Woche hatte er geschäftlich in Düsseldorf zu tun, als er den Anruf bekam, dass die Polizei mit großem Aufgebot seine Shisha-Bar stürmte. Er beendete sofort das Kundengespräch auf der Werbemesse, setzte sich in seinen Wagen und brauste nach Aachen: „Ich wollte wissen, was los war.“

Die Polizisten hätten ihn aber sehr ruppig behandelt, einige Gäste, darunter ein Professor und zwei Geschäftsleute, seien auf die Toilette gebeten worden und hätten sich bis auf die Schuhe ausziehen müssen. „Der Laden war mit 70 Leuten voll.“ Der Einsatzleiter habe ihm bedeutet, dass er ein anderes Publikum erwartet hätte.

Dabei wolle er doch gerade Deutsche und Ausländer zusammenführen, sagt Tahmiscioglu: „Wir spüren einen enormen Umsatzeinbruch von etwa 50 Prozent.“ Er sei in Eilendorf aufgewachsen und habe dort mehr Kriminalität erlebt.

Freund Fehmi Yaman stand draußen 45 Minuten im Regen und musste sich nach seiner Schilderung einer Leibesvisitation unterziehen: „Ich durfte nicht unter das Vordach.“ Mitarbeiter Aytac Aydogan: „Keiner durfte sich bewegen.“ Gefunden wurde schließlich nichts.

OB setzt ein Zeichen

Dass die Polizei die Dealer vom Elsassplatz sucht, finden die Geschäftsleute in Ordnung, aber die seien nicht gefasst worden. Es seien Jungen, die mit ihnen zum Gymnasium gegangen seien und irgendwann angefangen hätten, eigene Gruppen zu bilden und mit Betäubungsmitteln zu handeln, berichten sie. Diese jungen Leute hätten Fehler gemacht, doch müsse man fragen, was man mit ihnen machen könne: „Wir müssen mit den Menschen leben und versuchen, einen Weg zu finden.“

Den versuchte gestern Abend auch Oberbürgermeister Marcel Philipp zu finden, der der Tante von Sergin Tahmiscioglu, Aynur Kazak, einen Besuch in ihrem Kennedy-Grill abstattete: „Ich bin gekommen, um ein Zeichen zu setzen.“ Mit dabei waren auch Bürgermeisterin Hilde Scheidt (Grüne), FDP-Ratsherr Wilhelm Helg und SPD-Ratsherr Claus Haase. Vor der Polizeiaktion habe man lange vorher reservieren müssen, das sei jetzt nicht mehr so, sagte Kazak.

Der OB zeigte Verständnis für polizeiliche Maßnahmen, „man darf es aber nicht übertreiben“. Und vor allem solle Polizeipräsident Klaus Oelze das Gespräch mit den Menschen suchen.

20-Jähriger hat die Geldbuße jetzt beglichen

Einer der von der Polizei am meisten Gesuchten im Ostviertel steht nicht mehr auf der Fahndungsliste: Der 20-Jährige, der vor drei Wochen die Geschehnisse in der Elsassstraße ausgelöst hatte, hat inzwischen die gegen ihn verhängte Geldstrafe bezahlt. Der Haftbefehl wurde aufgehoben und die örtliche Fahndungsausschreibung entsprechend gelöscht, teilt die Polizei mit.

Er war zu einer Geldstrafe von 480 Euro, ersatzweise 40 Tagen Haft verurteilt worden, weil er Falschgeld in Umlauf gebracht hatte. Insgesamt sind seit drei Wochen 602 Personen überprüft worden, 53 Strafanzeigen wurden gefertigt. 29 Personen wurden festgenommen, davon zehn wegen Drogenhandels oder -besitzes, dabei wurden 813 Gramm Rauschgift gefunden.

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