Angst vor einer „Oslo-Falle“

Mo, 22. Jul. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2

Angst vor einer „Oslo-Falle“

Neuer Anlauf zu einem Nahostfrieden ist ein Drahtseilakt. Viele Palästinenser befürchten, dass die jüdische Besiedlung der besetzten Gebiete während der Gespräche weitergeht. Israelis sind sich über ihre Ziele uneins.

Von Norbert Wortmann

Jerusalem. Als US-Außenminister John Kerry in Amman vor die Presse trat, um den Durchbruch für direkte Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern zu verkünden, wog er jedes Wort vorsichtig ab. Fragen ließ er nicht zu und warnte, niemand anders als er selbst sei autorisiert, weitere Details zu nennen. So sei es mit allen vereinbart, die wirklich wüssten, was im verabredeten Rahmenplan für die Verhandlungen steht.

Auf Geduld und Verschwiegenheit zu setzen, ist wichtigste Zutat des Erfolgsrezepts, mit dem Kerry seinen Zwischenerfolg erreichte und damit fast alle überraschte. Für Chemi Schalew, den New Yorker Korrespondenten der liberalen Tageszeitung „Haaretz“, wurde er damit über Nacht vom Mr. Bean im „Ultimativen Katastrophenfilm“ zum Ethan Hunt aus „Mission Impossible“.

Doch Kerrys Mission bleibt ein gewagter Drahtseilakt, weshalb er selbst warnte: „Niemand glaubt, die so lange bestehenden Differenzen könnten über Nacht weggewischt werden.“ In den nächsten Tagen müssten auf beiden Seiten einige weitere harte Entscheidungen gefällt werden, warnte er.

„Nur Zeitverschwendung“

Das tiefe Misstrauen der Palästinenser machte sich gleich am Folgetag Luft, während es wegen der Sabbatruhe auf israelischer Seite 24 Stunden dauerte, bis die Warner und Kritiker laut wurden. Die Palästinenser fürchten, erneut in die Oslo-Falle zu geraten, also sich in Friedensverhandlungen die Hände zu binden, während die israelische Siedlerbewegung vor Ort tatkräftig weitere Fakten schafft.

So erklärte der unabhängige Parlamentsabgeordnete Mustafa Barghuti, Verhandlungen ohne klaren Bezug zu den bis 1967 bestehenden Grenzen seien „Zeitverschwendung, die nur Netanjahus Regierung zu Gute kommt“. Die letzten 20 Jahre hätten gezeigt, „dass es ein Fehler war, 1993 die Oslo-Verträge zu unterzeichnen, bevor ein Siedlungsstopp erreicht wurde“. Barghuti verwies darauf, dass sich die Zahl der israelischen Siedler im besetzten Westjordanland und Ostjerusalem seitdem von 150 000 auf 600 000 vervierfacht hat.

Die linksgerichtete Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) warnte, es sei ein Fehler, Verhandlungen außerhalb des UNO-Rahmens zu führen und damit erreichte internationale Rechtspositionen Kompromissen zu opfern. Das Generalkommando der PFLP, die Teil der PLO ist, forderte, ein Referendum über die Aufnahme von Direktgesprächen abzuhalten.

Handfeste Interessengegensätze wurden dagegen am Sonntag in den Wortmeldungen führender israelischer Politiker deutlich. Präsident Schimon Peres, Regierungschef Benjamin Netanjahu und die Chefunterhändlerin Zipi Livni betonten, nun biete sich die Chance, langfristig die Sicherheitsinteressen Israels zu wahren und seine Existenz als Staat des jüdischen Volkes endgültig zu garantieren. Nationalreligiöse Minister und die Interessenvertreter der Siedlerbewegung stellten dagegen in den Vordergrund, dass das Eingehen auf die Kerry-Initiative keine territorialen Zugeständnisse beinhalte und solche auch künftig nicht gemacht würden.

So sagte Tranportminister Israel Katz vom rechten Flügel der Likud-Partei Netanjahus im öffentlichen Radio: „Die Besiedlung ist stark und wächst. Ein Stopp wäre unjüdisch und unmoralisch.“ Wohnungsbauminister Uri Ariel von der ultranationalistischen Partei Jüdisches Heim verkündete im Rundfunk: „Wir sind dafür, soviel zu bauen wie möglich.“ Und sein Parteichef Avigdor Lieberman erklärte den Nahostkonflikt für „unlösbar“, weshalb bestenfalls eine „provisorische Einigung“ zu erreichen sei. Auch einige israelische Leitartikler kommentierten gestern, „Interimsabkommen“ seien die einzig realistische Zielsetzung.

Die entscheidende Frage werde deshalb am Ende sein, was Netanjahu im Inneren wirklich wolle, schrieb dagegen der außenpolitische „Haaretz“-Korrespondent Barak Ravid: „Will er nur einen Friedensprozess oder ist er entschlossen, einen finalen Friedensvertrag zu erreichen?“ Gehe es ihm nicht um Zeitgewinn, sondern um eine endgültige Lösung, so Ravid, „wird er zum ersten Mal klar Stellung beziehen und erklären müssen, wo für ihn Israel endet und Palästina beginnt“. (afp)

Die großen Streitpunkte zwischen Palästinensern und Israelis

Die Ausgangspositionen in den Kernproblemen, die einem Friedensschluss im Wege stehen, liegen weit auseinander.

Palästinenser-Staat: Im Westjordanland und dem Gazastreifen wollen die Palästinenser ihren eigenen Staat mit uneingeschränkter Souveränität errichten. Israel will jede Bedrohung seiner Sicherheit vermeiden und fordert die Entmilitarisierung eines Palästinenserstaates sowie die Kontrolle des Luftraums und der Außengrenzen; dazu soll israelisches Militär jahrzehntelang entlang des Jordantals stationiert werden.

Grenzverlauf und Siedlungen: Die Palästinenser wollen ihren Staat innerhalb jener Grenzen errichten, die bis zum israelisch-arabischen Krieg 1967 Bestand hatten. Dazu müssten alle 121 offiziellen jüdischen Siedlungen im Westjordanland und die derzeit 99 auch nach israelischem Recht illegalen Außenposten der Siedler aufgegeben werden. Einem Landtausch in geringem Umfang würden sie zustimmen. Israel lehnt dies ab und möchte dem eigenen Territorium zumindest die größeren Blöcke endgültig zuschlagen, in denen die meisten der aktuell 360 000 israelischen Siedler leben.

Jerusalem: Israel eroberte 1967 im Sechstagekrieg auch den arabischen Ostteil der Stadt, annektierte ihn später und erklärte Jerusalem zu seiner „ewigen und unteilbaren“ Hauptstadt. Die Palästinenser wollen Ostjerusalem, wo heute weiter 280 000 ihrer Landsleute und etwa 200 000 Israelis leben, zur Hauptstadt ihres eigenen Staates machen. Als besonders schwierig gilt die Regelung der künftigen Souveränität über das „heilige Becken“, inklusive der Altstadt, wo alle drei monotheistischen Weltreligionen ganz zentrale Kultstätten haben.

Flüchtlinge: Mehr als fünf Millionen Palästinenser leben derzeit in arabischen Ländern; viele von ihnen sind Nachkommen der rund 760 000 Palästinenser, die im Zuge der Gründung des Staates Israel 1948 geflohen waren oder vertrieben wurden. Die palästinensische Seite besteht auf einem Rückkehrrecht. Israel sieht darin eine existenzielle demografische Bedrohung für den jüdischen Charakter des Staates, den sie völkerrechtlich fixieren wollen. Als Kompromiss hatte sich in früheren Verhandlungen abgezeichnet, dass das Rückkehrrecht „im Grundsatz“ anerkannt wird, aber jeder Schritt zur Umsetzung im gegenseitigen Einverständnis erfolgen muss.

Kontrolle der Wasserressourcen: Israel kontrolliert den Großteil des Grundwassers im Westjordanland. Wegen Wassermangels und ihrer schnell wachsenden Bevölkerung fordern die Palästinenser eine gerechtere Aufteilung der Ressourcen. (afp)

„Die Besiedlung ist stark und wächst. Ein Stopp wäre unjüdisch und unmoralisch.“

Israel Katz, israelischer Transportminister

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