Sa, 28. Jan. 2012 Bericht aus Syrien: Tausende Tote und kaum Hoffnung auf Frieden Jamal Sobeh lebt seit neun Jahren in Aachen. Der Psychologe hält nach wie vor Kontakt zu seiner Familie und Oppositionellen. „EU gibt schwaches Bild ab.“ Von Christian Rein Aachen. Es sind nur Schlaglichter, kurze Anekdoten, mit denen Jamal Sobeh über die Situation in seinem Heimatland Syrien berichten kann. Er erzählt etwa von Ibrahim Qashoosh, dem „Sänger der syrischen Revolution“. Zu seiner Musik recken die Demonstranten auf den Straßen von Homs, Aleppo, Damaskus oder Tartus ihre Plakate in die Höhe, seine Lieder singen sie. Oder er spricht über Ali Ferzat. Der Karikaturist hatte die Chuzpe, Syriens Präsident Baschar al-Assad mit einem Bild direkt anzugreifen. Er hat den Machthaber mit den abstehenden Ohren zum Beispiel am Rednerpult gezeichnet, in dem auch ein Souffleur sitzt – allerdings dem Publikum zugewandt. Der Souffleur fordert zum Jubel auf, und alle jubeln. Qashoosh und Ferzat haben wie so viele andere für ihre Kunst bezahlt, das ist das Traurige an Sobehs Vortrag mit dem Titel „Kreativität gegen Brutalität“. Qashoosh wurde brutal ermordet. Ferzat kam zwar mit dem Leben davon, ist aber schwer gezeichnet von den Prügeln, die er bezogen hat. Dem Sänger wurde die Kehle durchgeschnitten, dem Zeichner hat man versucht, die Hände zu brechen. Es ist ein ungleicher Kampf, den die Opposition mit dem Regime austrägt. Nach Schätzungen der UN sind seit dem vergangenen März bereits 5600 Menschen von Sicherheitskräften getötet worden, Tausende werden vermisst, weitere Tausende wurden verhaftet oder sind geflüchtet. Gestern sollen Regierungstruppen 44 Menschen, darunter Kinder, in Homs getötet haben, berichtet die Opposition. Intensiver Kontakt in die Heimat Jamal Sobeh kam vor neun Jahren nach Aachen, um hier zu studieren. Inzwischen ist er Psychologe, ein Beruf, der in der arabischen Welt nicht sehr verbreitet sei, wie Sobeh sagt. „Die Menschen glauben, dass so etwas überflüssig ist.“ Sobeh hält intensiven Kontakt nach Syrien. Er telefoniert täglich mehrfach mit seiner Familie, die in einem Vorort von Damaskus lebt. Er tummelt sich im Internet, hat Kontakt zu Oppositionellen. Er kann berichten aus dem Land, das für Journalisten abgeschottet ist. Er kann die andere Seite des Landes zeigen, dessen Regime nur die eine Seite präsentieren will – etwa einer Beobachtermission der Arabischen Liga, die derzeit in Syrien unterwegs ist. Sobeh hält seinen Vortrag auf Einladung der Aachener Grünen. An seiner Seite steht Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Sie bewertet die Ereignisse aus der politischen Warte. Brantner sagt, sie sei erstaunt, wie lange der Protest gewaltfrei geblieben sei angesichts des brutalen Vorgehens des Regimes. Dass die Opposition nun aus Katar mit Waffen versorgt werde und ihrerseits Soldaten angreife, sei eine neue Entwicklung, die ihr Sorge bereite. „Ich finde es generell keine gute Strategie, Waffen in ein Land zu bringen“, sagt Brantner. Sie fürchtet, dass es zu einem offenen Bürgerkrieg kommen könne, wenn nicht bald eine Lösung auf diplomatischem Weg gefunden werde. Das Vorgehen der Arabischen Liga beanstandet Brantner in diesem Zusammenhang nicht. Zwar habe diese zunächst zögerlich reagiert, und doch habe sie mit ihrem Beschluss vom vergangenen Sonntag ein eindeutiges Zeichen gesetzt. Die Arabische Liga fordert al-Assad zu einem teilweisen Machtverzicht zugunsten einer Regierung der nationalen Einheit auf. Außerdem sollen die Vereinten Nationen eingebunden werden. „Für die Arabische Liga ist dieses Vorgehen sehr ungewöhnlich. Sie geht damit sehr weit“, sagt Brantner. Am heutigen Samstag begibt sich eine Delegation der Arabischen Liga unter Führung von Generalsekretär Nabil al-Arabi zum Sitz der Vereinten Nationen in New York, um eine Sitzung des Weltsicherheitsrats am Montag vorzubereiten. Ob die Vereinten Nationen allerdings den Druck auf das Regime in Damaskus erhöhen werden, ist völlig offen. Vor allen Dingen die Veto-Macht Russland bremst einen Beschluss des Weltsicherheitsrats. Dahinter stecken wirtschaftliche Interessen: Syrien ist ein wichtiger Abnehmer von russischem Kriegsgerät. Zuletzt wurde bekannt, dass Russland 36 Militärjets im Wert von 550 Millionen US-Dollar an Syrien verkauft hat. „Deshalb ist Putin nicht bereit, Assad gehen zu lassen“, sagt Brantner, die jedoch glaubt, dass der Spielraum für Russland kleiner wird: „Wenn die Arabische Liga mit ihren Mitgliedsstaaten die UN einbeziehen, wird es schwerer für Russland, eine Resolution abzulehnen.“ Und die EU? Sie habe ein sehr schwaches Bild abgegeben und Sanktionen viel zu langsam und in viel zu kleinem Ausmaß verhängt, meint Brantner. Erst 108 Individuen und 38 Firmen seien mit Sanktionen belegt, ihre Gelder eingefroren und Reisen in die EU verboten. Brantner verweist darauf, dass die Grünen bereits im vergangenen Sommer eine Liste mit 200 Personen vorgelegt hätten, die mit Sanktionen zu belegen seien. Außerdem fordert sie, die syrische Opposition stärker zu unterstützen, etwa mit einer speziellen Gruppe der EU, die den Austausch und Zusammenhalt der Gruppen untereinander fördert. Jamal Sobeh wird indes in der kommenden Woche in die Türkei fahren, um an der syrischen Grenze Flüchtlinge zu treffen. Er will ihnen helfen. Weil er Psychologe ist, will er dies auf seine Weise tun: „Die Menschen sind traumatisiert. Sie haben viel durchgemacht, viel verloren. Sie leiden.“ Sobeh will mit den Flüchtlingen reden, und er will sie dabei unterstützen, ihr Trauma zu bewältigen. |