Die Ukraine nimmt Kurs Richtung Nato

Mi, 24. Dez. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

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Das Parlament in Kiew verkündet ein Ende der Blockfreiheit. Russland reagiert scharf und warnt vor einem „feindlichen Schritt“.

Von Ulf Mauder

Kiew/Moskau. Auch wenn ein Nato-Beitritt der Ukraine nicht in Sicht ist – die russischen Reaktionen auf einen solchen möglichen „feindlichen“ Schritt kommen prompt und scharf. Die Aufgabe des blockfreien Status sei ein „ernster Fehler“ mit „schweren Folgen“ für die Lösung des Konflikts im Kriegsgebiet Donbass, warnt das Außenministerium in Moskau.

Die Menschen in dem russischsprachigen Separatistengebiet gelten seit langem als erbitterte Gegner eines Nato-Beitritts der Ukraine. Zwar wollen sich die Konfliktparteien an diesem Mittwoch erstmals seit drei Monaten wieder in der weißrussischen Hauptstadt Minsk an einen Tisch setzen. Neue Friedensgespräch sind geplant. Aber ob sie diesmal mehr Erfolg haben, ist völlig offen.

Die gestrige Entscheidung des Parlaments in Kiew, den blockfreien Status der Ex-Sowjetrepublik aufzugeben und sich von Moskau endgültig abzuwenden, erleichtert das Finden einer Lösung nicht. Von risikovollen „geopolitischen Spielchen“ Kiews und einer Gefahr für die Sicherheit in Europa spricht Moskaus Botschafter bei der Nato, Alexander Gruschkow.

Noch deutlicher wird der russische Regierungschef Dmitri Medwedew: Kiew könne vom Nachbarn und Verbündeten nun erstmals zum „militärischen Gegner“ für Moskau werden. Die Russen betonen, dass der Kurs einer euroatlantischen Integration der Ukraine dem Streben nach Frieden im Donbass zuwiderlaufe.

Doch macht auch in der Ukraine niemand einen Hehl daraus, dass das neue Gesetz, das einen Nato-Beitritt ermöglichen soll, vor allem politische Symbolkraft hat. Es ist ein Zugeständnis an jene Kräfte in der prowestlichen Führung in Kiew, die den blutigen Konflikt in der Ostukraine militärisch lösen wollen.

So hatte etwa der Sekretär des Sicherheitsrates in Kiew, Alexander Turtschinow, zuletzt mehrfach erklärt, die von prorussischen Separatisten kontrollierten Gebiete Donezk und Lugansk „befreien“ zu wollen. Auch die im März annektierte Schwarzmeerhalbinsel Krim wolle er Russland wieder entreißen, betonte Turtschinow. Und vor allem hofft die Ukraine im Fall eines Krieges gegen die Atommacht Russland auf Hilfe der Nato – um so die Einheit des Landes wieder herzustellen.

Demonstration vor Parlament

Es sind auch die jüngsten Erklärungen des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, die Moskau am Friedenswillen Kiews zweifeln lassen. Es war Poroschenko, der zuletzt ankündigte, sich im Westen mit Waffen auf Pump einzudecken und heimische Rüstungskonzerne trotz fehlender Lohnzahlungen rund um die Uhr produzieren zu lassen.

Vor dem Parlament in Kiew demonstrierten gestern Tausende Menschen, die mit der Sozialpolitik des Landes unzufrieden sind. Viele Ukrainer befürchten, dass das vor dem Staatsbankrott stehende Land nicht nur die sozialen Leistungen noch weiter kürzt, sondern auch das letzte Geld noch in einem aussichtslosen Krieg verpulvert.

Poroschenko sieht sich seit Monaten Vorwürfen ausgesetzt, seinen lautstarken Bekenntnissen zu einem Westkurs des Landes keine Reformen folgen zu lassen. Wohl auch deshalb zögerten zuletzt die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) damit, weiter einfach ohne Gegenleistung Milliarden in das Land zu pumpen.

Die vielen Versprechungen etwa von visafreiem Reisen und europäischen Standards seien bisher nur leeres Geschwätz, meint der ukrainische Abgeordnete Alexander Wilkul vom Oppositionsblock in der Obersten Rada. „So ist es auch mit der Nato. Wir werden von niemandem und nirgends erwartet“, sagt der Vizechef der Minderheitsfraktion. Insgesamt 66 Abgeordnete stimmten am Dienstag gar nicht ab, enthielten sich oder waren gegen das neue Gesetz. 303 Politiker aber stimmten für das Ende der Blockfreiheit.

Die Ukraine hatte sich unter dem Druck Russlands im Jahr 2010 dem Lager der Blockfreien angeschlossen. Als Blockfreier gehörte das Land keinem Militärbündnis an.

Kurz notiert

E Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat die Entscheidung mehrerer, vor allem rot-grün regierter Bundesländer kritisiert, während des Winters pauschal auf die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu verzichten. Er lehne es ab, „einen Winter-Abschiebestopp für ganze Staaten zu verhängen“, sagte der CDU-Politiker. Entscheidungen sollten stattdessen vom jeweiligen Einzelfall abhängig gemacht werden. „In sichere Herkunftsländer muss auch im Winter abgeschoben werden“, forderte Kauder. Kritisch äußerte er sich auch zur Praxis des Kirchenasyls, bei der Kirchengemeinden Flüchtlingen Schutz vor Abschiebung gewähren. Zwar sei „das Motiv dieser Christen ehrenwert“, sagte Kauder. Der Staat dürfe aber nicht daran gehindert werden, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Insofern halte er Kirchenasyl „für eine höchst probl ematische Sache“. (afp) Foto: dpa

Argentinien: Haftstrafe wegen Kinderraub

Buenos Aires. In Argentinien sind erstmals medizinische Mitarbeiter wegen ihrer Beteiligung am Kinderraub während der Militärdiktatur zur Rechenschaft gezogen worden. Gegen einen früheren Militärarzt verhängte ein Gericht in Buenos Aires eine Haftstrafe von 13 Jahren, eine 85-jährige Hebamme muss für sieben Jahre ins Gefängnis. Dem Urteil zufolge leisteten sie Beihilfe zur Verschleppung von Babys, die in einem geheimen Folterlager geboren wurden.Während der Militärdiktatur (1976-83) wurden schwangere Gefangene auf der Geburtsstation der Militärbasis mit verbundenen Augen festgehalten und gefesselt, bis sie ihre Kinder zur Welt brachten, die ihnen umgehend weggenommen wurden. (afp)

Amnesty: IS versklavt jesidische Frauen

London. Im Irak werden nach Angaben von Amnesty International jesidische Frauen durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) versklavt. Hunderte, wenn nicht Tausende Frauen und Mädchen der religiösen Minderheit würden verkauft oder als „Geschenk“ an IS-Kämpfer übergeben, zwangsverheiratet, gefoltert oder vergewaltigt, heißt es in einem gestern verbreiteten Bericht. (kna)

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