Eine Stadt wehrt sich: Solingen bietet den Salafisten die Stirn

 

Sa, 19. Mai. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Spezial / Seite 7

Eine Stadt wehrt sich: Solingen bietet den Salafisten die Stirn

Die Industriestadt gilt als eine der Stützpunkte für die radikalen Islamisten. Politiker und Bürger kontern mit Erklärung für Toleranz und gegen Hassprediger.

Von Ulrike Hofsähs

Solingen. Nur ein paar Schritte liegen zwischen dem Rathaus in Solingen und der Millatu-Ibrahim-Moschee. Die radikalen Salafisten treffen sich regelmäßig in einer Art Lagerhalle in einem Hinterhof an der Konrad-Adenauer-Straße. Einige Häuser weiter, hinter der gläsernen Fassade des Rathauses, überlegen die Stadtoberen, wie die Antwort auf die fundamentalistischen Muslime und ihren Stützpunkt in der Nachbarschaft lauten kann.

Seit dem 1. Mai hat sich das Problem mit Salafisten in Solingen verschärft. Etwa 30 traditionell orientalisch gekleidete junge Männer hatten eine Provokation der rechtsextremen Splitterpartei Pro NRW zum Anlass genommen und überraschend Polizisten angegriffen und verletzt.

Ein Weltbild in Schwarz und Weiß

„Wir wurden Zeuge einer kalkulierten Inszenierung von Gewalt“, kommentiert auf der Internetseite der Stadt Oberbürgermeister Norbert Feith (CDU). Vor seinem Rathaus saßen nach dem Gewaltausbruch die gefesselten Salafisten in einer Reihe auf dem Boden: junge bärtige Männer, in knöchellangen Pluderhosen, mit Häkelmützen auf dem Kopf und aus der ganzen Republik angereist.

Der Verfassungsschutz hat die Salafisten seit langem im Visier. Sie nehmen den Koran als Handlungsanleitung, sind gegen Demokratie und für einen Gottesstaat. Ein Weltbild in Schwarz und Weiß sowie die intensive Missionierung gilt vor allem jungen, noch nicht gefestigten Menschen. Der Salafismus ist derzeit die am stärksten wachsende islamistische Strömung, zu der viele Terroristen Beziehungen hatten. In NRW gibt es etwa 500 Anhänger.

Mit Information hält die 160 000-Einwohner-Stadt im Bergischen Land dagegen: Am 24. Mai organisiert Solingen eine Fortbildung „Über den Umgang mit Salafismus“. Die richtet sich an Lehrer, Muslime, Migranten, Polizisten, an jedermann. „Das ist genau der richtige Weg“, sagt Claudia Dantschke. Seit vier Jahren berät sie Mütter und Väter, deren Kinder zu den radikalen Islamisten gewechselt sind. Die Expertin berichtet bei der Veranstaltung von Erfahrungen und Beispielen aus Berlin. „Anfragen von Eltern haben zugenommen“, sagt sie.

Die Tagung ist Teil eines Programms, mit dem sich die Industriestadt zusammen mit organisierten Muslimen bemüht, den Extremisten den Zulauf junger, fehlgeleiteter Menschen abzuschneiden. Bei einer Veranstaltung mit der Polizei etwa platzte das Forum aus allen Nähten. Und weit mehr als tausend Bürger haben eine von muslimischen und christlichen Verbänden mitgetragene Erklärung gegen Hassprediger unterschrieben.

Einen Grundstein für die Zusammenarbeit hat das traurigste Kapitel in der Geschichte der Stadt gelegt: Solingen war vor bald 19 Jahren Schauplatz des schlimmsten fremdenfeindlichen Anschlags in Deutschland. Fünf türkische Frauen und Mädchen starben. Bis heute prägt das, inzwischen ist die Integrationsarbeit preisgekrönt. Der Oberbürgermeister wird selbstverständlich in die Moscheen eingeladen und spricht Grußworte. Jeder dritte Bürger von Solingen hat ausländische Wurzeln.

Stadtrat votiert gegen Treffpunkt

Inzwischen hat der Stadtrat das Quartier, in dem der Treffpunkt der Salafisten liegt, als Wohngebiet eingestuft. Ihr Antrag auf Nutzung der Lagerhalle als Vereinsraum ist von der Stadt abgelehnt worden. Ob das hilft, ist ungewiss. „Das Vorgehen erfordert Geduld“, weiß der Oberbürgermeister.

Ehe die Männer mit den Pluderhosen in Solingen auftauchten, war das rund 60 Kilometer entfernte Mönchengladbach ein wichtiger Treffpunkt. Als dort ohne Genehmigung ein Gebäude zu einem Islam-Zentrum umgebaut wurde, schritt die Stadt ein und legte die Baustelle still. Allerdings sind Salafisten auch in Mönchengladbach weiter aktiv. Demnächst wollen sie wieder kostenlose Korane verteilen: für den Verfassungsschutz Ausdruck einer offensiven Missionierungsarbeit.

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