Fredy Hirsch ist „ein Vorbild für heute“

Sa, 13. Feb. 2016
Aachener Nachrichten – Stadtausgabe / Lokales / Seite 21

Das Thema: Gedenken an Fredy Hirsch

Fredy Hirsch ist „ein Vorbild für heute“

Stadt und Jüdische Gemeinde erinnern an den gebürtigen Aachener, der am Mittwoch 100 Jahre alt geworden wäre

Von Lothar Stresius

Aachen. Fredy Hirsch wäre am 11. Februar 100 Jahre alt geworden. Fredy wer? Bis vor kurzem noch hätten in Aachen nur wenige mit dem Namen Fredy Hirsch etwas anfangen können. Allenfalls hat der eine oder andere seinen Namen auf dem „Stolperstein“ in der Richardstraße gelesen. Das ist heute anders.

Eine Buchpublikation von Dirk Kämper, das Engagement der Fredy-Hirsch-AG des Couven-Gymnasiums und die Initiativen der Stadt Aachen und der Jüdischen Gemeinde haben dafür gesorgt, dass der Name des gebürtigen Aachener Juden bekannter geworden ist. So fanden sich am Donnerstagabend viele Interessierte im Festsaal der Aachener Synagoge ein, wo auf Einladung der Stadt und der Jüdischen Gemeinde eine Gedenkfeier zum Geburtstag von Fredy Hirsch stattfand.

Überlebende des Holocaust

Die Veranstalter hatten aus diesem Anlass neben Rachel Masel, einer Nichte des Verstorbenen, auch die Überlebenden des Holocaust Edith Kraus, Evelina Merova und Hans Gärtner eingeladen, die Hirsch aus dem Lager Auschwitz-Birkenau kannten. Fredy Hirsch hatte als Lagerkapo im Lager Birkenau 1943/44 für Kinder die Einrichtung eines speziellen Blocks erwirkt, das Zusammenleben der Kinder dort organisiert und vielen von ihnen das Leben gerettet.

Der Geschäftsführer der heutigen Jüdischen Gemeinde, Friedrich Thul, erinnerte zu Beginn der Gedenkfeier daran, dass Fredy Hirsch damals Mitglied der Aachener Gemeinde war. Oberbürgermeister Marcel Philipp hob in seinem Beitrag hervor, dass Fredy Hirsch „ein bedeutender Sohn der Stadt, wenn auch nicht der bekannteste“ sei. Der besondere Gruß des Oberbürgermeisters galt den drei Zeitzeugen und der „Repräsentantin der Familie Hirsch“.

Fredy Hirsch war im Jahre 1929 in der damaligen Aachener Synagoge als vollwertiges Mitglied der Gemeinde (Bar Mizwa) aufgenommen worden. Hier sei, so der Oberbürgermeister, auch der Grundstein für seine weitere Biografie gelegt worden. Der „überzeugte Zionist“ habe sich als Sportlehrer innerhalb des Jüdischen Pfadfinderbundes engagiert, was letztlich der „Selbstbehauptung des Judentums“ gedient habe. Fredy Hirschs „Botschaft“ sei die Aufforderung, auch in schwierigen Situationen „nicht mutlos zu werden, nicht aufzugeben“. Mit der Einrichtung des Kinderblocks in Birkenau habe er den Kindern ein für das Überleben notwendiges Gemeinschaftsgefühl ermöglicht. Darin sei er ein „Vorbild für heute“. Hirschs „Zivilcourage“ von damals konkretisiere sich heute als Kampf gegen Rassismus und Verteidigung der Demokratie.

Unter dem Titel „Fredy Gay Hero 1. Arbeitsfassung“ folgte dann eine filmische Dokumentation von Helge Cramer. Es kamen darin in einzelnen Beiträgen Überlebende aus dem Kinderblock zu Wort.

In der Summe ergab sich dabei eine Charakterisierung Fredy Hirschs, so wie ihn die damaligen Kinder erlebt haben. Er sei ein „wunderbarer Athlet“, „ein Kulturmensch“ und mit einer „natürlichen Autorität“ ausgestattet gewesen. „Wir Kinder haben ihn sehr geliebt.“ Er sei ihnen wie eine „Mischung aus Zionist und preußischem Offizier“ erschienen. Größten Wert habe er auf Hygiene gelegt; alle Räume seien immer von ihm genau untersucht worden. Auf seine Initiative hin gab es im Kinderblock Kulturprogramme, so sei etwa das Märchen „Schneewittchen“ im Lager von Kindern aufgeführt worden. Als Lagerkapo wurde Hirsch oft geschlagen, wenn er die Anordnungen der SS-Leute nicht in deren Sinne befolgte.

Ausdrücklich warnte Hirsch die Kinder vor einem Mitarbeiter Josef Mengeles, einem Dr. Klein, der einzelne Kinder für seine medizinischen Experimente benutzte.

Bekannte Homosexualität

Seine Homosexualität sei bekannt gewesen. „Mädchen waren in ihn verliebt“, mussten aber erkennen, dass sie „keine Chance“ hatten. Die meisten der Überlebenden, die im Film zu Wort kamen, gingen von einem Selbstmord Fredy Hirschs aus: Er habe sich am Ende geweigert, an einem Aufstand von Lagerinsassen teilzunehmen, weil er befürchtete, dass danach viele Kinder aus seinem Block umgebracht würden. Diesem Konflikt habe er sich durch eine Überdosis an Schlafmitteln entzogen.

Am Ende der Gedenkfeier sprach Rabbiner Mordechai Bohrer die jüdischen Totengebete für Fredy Hirsch: „El male rachamin“ und „Kaddish“.

Die Gedenkfeier wurde musikalisch umrahmt durch Beiträge von Wenjing Li Zhang und Han Zhang.

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Gedenkfeier für Fredy Hirsch in der Synagoge (von links): Oberbürgermeister Marcel Philipp mit den Zeitzeugen Evelina Merova, Edith Kraus und Hans Gärtner, Fredy Hirschs Nichte Rachel Masel und Robert Neugröschel (Jüdische Gemeinde Aachen).Foto: Ralf Roeger

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