Gutmensch, Unwort des Jahres

Wie die großen „Sprachwissenschaftler“ der Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur (als solche wurden sie in den Medien (Stichwort: Lügenpresse (das Unwort vom Vorjahr)) bezeichnet, den ergänzenden Informationen des gestern von mir geforwardeten Spiegelartikels war das letztbenannte Mitglied des erlauchten Gremiums ein Kabarettist (sic!)) herausgefunden haben wollen, wird mit diesem bösartigen Begriff angeblich der freundliche Helfer lächerlich gemacht, der sich gesellschaftlich engagiert, seinem Staat unter die Arme greift und an den Grenzbahnhöfen die Flüchtlinge mit warmen Decken erwartet.

Kritiker in den Leserbriefforen zum besagten Spiegel-Artikel (und nicht nur dort) hatten demgegenüber bereits darauf hingewiesen, dass das Wort „Gutmensch“ schon seit einigen Jahren ironisch verwendet wird, um naive liberale (?) Gesinnungsethiker zu bezeichnen, die alles verdrängen, was nicht in ihr Weltbild passt, und auch versuchen, die Wirklichkeit sprachlich so lange zu verdrehen, bis sie wieder dem eigenen Weltbild entspricht (siehe obige Gesellschaft). Und die jeden, der etwas anderes sagt oder denkt, in die Ecke des „Bösen“ (meist die rechte Ecke) stellen, um ihn, oder sie, mundtot zu machen.

Hätte es sich bei dieser erlauchten Jury tatsächlich um Germanisten, Sprachwissenschaftler gehandelt, hätten sie von der eigentlichen Bedeutung dieses Begriffs ebenso wissen müssen wie von seiner Herkunft. Oder, was noch schlimmer wäre, ist die deutsche Germanistik schon so heruntergekommen? Ich fürchte fast, zuzutrauen wäre ihr es….

Hierzu ein Zitat von Nietzsche, mit Quellenangabe:

… Unsre Gebildeten von heute, unsre »Guten« lügen nicht – das ist wahr; aber es gereicht ihnen nicht zur Ehre! Die eigentliche Lüge, die echte resolute »ehrliche« Lüge (über deren Wert man Plato hören möge) wäre für sie etwas bei weitem zu Strenges, zu Starkes; es würde verlangen, was man von ihnen nicht verlangen darf, daß sie die Augen gegen sich selbst aufmachten, daß sie zwischen »wahr« und »falsch« bei sich selber zu unterscheiden wüßten. Ihnen geziemt allein die unehrliche Lüge; alles, was sich heute als »guter Mensch« fühlt, ist vollkommen unfähig, zu irgendeiner Sache anders zu stehn als unehrlich-verlogen, abgründlich-verlogen, aber unschuldig-verlogen, treuherzig-verlogen, blauäugig-verlogen, tugendhaft-verlogen. Diese »guten Menschen« – sie sind allesamt jetzt in Grund und Boden vermoralisiert und in Hinsicht auf Ehrlichkeit zuschanden gemacht und verhunzt für alle Ewigkeit: wer von ihnen hielte noch eine Wahrheit »über den Menschen« aus!.. Oder, greiflicher gefragt: wer von ihnen ertrüge eine wahre Biographie!.. Ein paar Anzeichen: Lord Byron hat einiges Persönlichste über sich aufgezeichnet, aber Thomas Moore war »zu gut« dafür: er verbrannte die Papiere seines Freundes. … Gedenken wir noch des komischen Entsetzens, welches der katholische Priester Janssen mit seinem über alle Begriffe viereckig und harmlos geratenen Bilde der deutschen Reformations-Bewegung in Deutschland erregt hat; was würde man erst beginnen, wenn uns jemand diese Bewegung einmal anders erzählte, wenn uns einmal ein wirklicher Psycholog einen wirklichen Luther erzählte, nicht mehr mit der moralistischen Einfalt eines Landgeistlichen, nicht mehr mit der süßlichen und rücksichtsvollen Schamhaftigkeit protestantischer Historiker, sondern etwa mit einer Taineschen Unerschrockenheit, aus einer Stärke der Seele heraus und nicht aus einer klugen Indulgenz gegen die Stärke?…

Ich habe bei der Lektüre flachgelegen, in Deutschland hat sich seither nicht viel verändert.

Quelle:

http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Zur+Genealogie+der+Moral/Dritte+Abhandlung%3A+Was+bedeuten+asketische+Ideale/11-20, siehe unter Nummer 19

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