Handwerkliche Patzer, Schlamperei, keine Absprachen

clip_image001

Mi, 16. Mai. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Handwerkliche Patzer, Schlamperei, keine Absprachen

Ein Gutachten deckt auf, wie in Thüringen die Behörden bei der Suche nach dem Neonazi-Trio von Jena versagt haben

Erfurt. Fehler und Nachlässigkeiten Thüringer Behörden haben nach Ansicht der unabhängigen Kommission zum Neonazi-Trio das Untertauchen der Gruppe begünstigt. Das dreiköpfige Gremium kritisierte bei der Vorstellung seines Abschlussberichts am Dienstag vor allem den Verfassungsschutz, monierte aber auch handwerkliche Fehler und Zurückhaltung bei den eigentlich zuständigen Behörden Staatsanwaltschaft und Polizei. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) kündigte Konsequenzen an. Die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer hatte seit Mitte November rund 20 000 Seiten Akten gesichtet und Dutzende Zeugen zur sogenannten Zwickauer Zelle gehört.

Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) sprach von „handwerklichen und strukturellen Defiziten“ sowie von fehlenden Abstimmungen. Polizei, Verfassungsschutz und Justiz hätten nicht so professionell gearbeitet, wie es zu erwarten gewesen sei. Der Bericht entkräfte aber Spekulationen, dass die aus Jena stammenden Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe staatlich gedeckt worden seien. Kommissionsvorsitzender Schäfer sagte, er habe auch in den geheimsten Unterlagen des Verfassungsschutzes keinen Hinweis gefunden, dass einer der drei als Informant abgeschöpft worden sei.

Das Trio war 1998 untergetaucht und hatte zuletzt in Zwickau gelebt. Als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) sollen Böhnhardt, Mundlos und womöglich auch Zschäpe in den Jahren danach neun Männer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet haben. Am 4. November 2011 verübten Böhnhardt und Mundlos in Eisenach einen Banküberfall. Kurz vor ihrer Festnahme erschoss Mundlos seinen Komplizen und tötete sich dann selbst.

Die Experten stellten dem Thüringer Verfassungsschutz ein miserables Zeugnis aus. Zwar habe der gute Kenntnisse über das Trio gehabt, diese aber nicht einmal systematisch zusammengestellt. Als „schlimme Sache“ bezeichnete Schäfer die Aufforderung der Verfassungsschützer an die Eltern eines der Neonazis, der Behörde wichtige Hinweise nur über Telefonzellen zu geben. Damit hätten sie die Arbeit der gleichzeitig abhörenden Polizei unterlaufen. Der Verfassungsschutz habe sein Wissen nicht an andere Behörden weitergegeben. Die Informationen über Waffen- und Geldbeschaffung seien massive Anhaltspunkte für die Bildung einer terroristischen Vereinigung gewesen. Geibert sprach von „fast chaotischen Zuständen“ in der Behörde.(dpa)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.