Israel steht vor einer Woche des tiefgreifenden Wandels

Mo, 10. Mär. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Israel steht vor einer Woche des tiefgreifenden Wandels

Wahlrecht, Wehrpflicht und Volksbefragung. Gleich drei grundlegende Gesetze sollen von der Knesset verabschiedet werden.

Von Gil Yaron

Tel Aviv. Es wird äußerst knapp: Ausgerechnet in den letzten Stunden vor Beginn der Frühlingsparlamentsferien will Israels Regierung den wichtigsten Durchbruch seit dem Wahlsieg vor einem Jahr erringen. Jeder der drei großen Koalitionspartner Benjamin Netanjahus hatte einen zentralen Programmpunkt. Die sollen jetzt Gesetz werden. Am Dienstag will die Regierung das Wahlrecht verändern und die Sperrklausel von zwei auf 3,25 Prozent anheben. Am Tag sollen ultra-orthodoxe Juden zum Wehrdienst verpflichtet werden. Nur Stunden darauf wird die Regierung fortan dazu verpflichtet, territoriale Kompromisse bei Friedensverträgen durch eine Volksbefragung abzusegnen.

Die Gesetze sollen in grundlegenden Streitfragen, die zum Teil seit der Staatsgründung debattiert werden, endlich Klarheit schaffen.

Das erste Gesetz dürfte die Zahl kleiner Parteien in der Knesset deutlich verringern. Nach manchen Wahlen saßen bis zu 17 Fraktionen in Israels Parlament. Vor allem der arabische Sektor ist mit vielen kleinen Parteien vertreten, die nun entweder fusionieren müssen oder Gefahr laufen, fortan nicht mehr in der Knesset vertreten zu sein. Das soll Stabilität bringen, die Israel bitter nötig hat: Derzeit amtiert die 33. Regierung seit der Staatsgründung 1948. Doch Kritiker fürchten, kleine Gruppen könnten sich in dieser äußerst heterogenen Gesellschaft ausgegrenzt fühlen und den demokratischen Prozess untergraben. Schon drohen manche arabische Parteien, die Knesset und die Wahlen fortan zu boykottieren.

Auch das zweite Gesetz, Augapfel der säkularen „Yesh Atid“ Partei, birgt sozialen Sprengstoff. Bislang waren Ultra-Orthodoxe vom Wehrdienst freigestellt, was vor allem bei säkularen Israelis Unmut über eine ungerechte Lastenverteilung erzeugte. Das soll nun ein Ende haben: Wer nicht dient, dem drohen ab 2017 bis zu zwei Jahren Haft. Die Ultra-Orthodoxen haben jedoch massive Proteste angekündigt. Bereits in der vergangenen Woche demonstrierten in Jerusalem rund 600 000 Gegner des Gesetzes, nur der Anfang, drohen sie. Manche Rabbiner fordern ihre Anhänger dazu auf, in Scharen auszuwandern, andere drohen mit zivilem Ungehorsam.

Koalition könnte zerbrechen

Auch das dritte Gesetz ist äußerst umstritten. Die Siedlerpartei „Habayit Hayehudi“ (Das jüdische Heim) duldet Friedensverhandlungen mit den Palästinensern nur, wenn der Regierung durch das Versprechen, das Volk über jede Räumung israelischen Staatsgebiets befragen zu müssen, die Hände gebunden werden. Bislang gab es in Israel keine Plebiszite.

Oppositionsführer Haim Herzog warnte, dass die Regierung mit den hastig durchgepeitschten Gesetzen eine „rote Linie“ überschreite. Statt sie ausgiebig einzeln im Plenarsaal diskutieren zu lassen, hat die Koalition eine alte Sonderregelung ausgegraben und dem Parlament ein Zeitlimit gesetzt. Bis Donnerstag sollen die drei Gesetz nun verabschiedet sein.

Das hat wohl hauptsächlich einen Grund: Jedes Gesetz allein ist selbst in der Koalition so umstritten, dass nur ihre Bündelung eine Chance besaß, von allen Abgeordneten Zustimmung zu erhalten. In Netanjahus Umfeld ist man sich nun aber sicher, die gewinnbringende Formel gefunden zu haben. Sollte man sich irren, und nur ein Teil der Gesetze verabschiedet werden, würde die Koalition zerbrechen. Sollte man Recht behalten, wird in Israels Politik diese Woche ein tiefer Wandel stattfinden.

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