Sa, 3. Sep. 2011
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2
Klarer Bericht und scharfe Töne
Seit Monaten streiten Jerusalem und Ankara über die tödlichen Kämpfe auf einem Schiff vor der Gaza-Küste. UNO stellt fest: Blockade ist rechtmäßig. Daraufhin weist die Türkei den israelischen Botschafter aus.
Von Gil Yaron
Jerusalem. Nach den blutigen Kämpfen auf einem türkischen Schiff vor der Küste Israels im Mai 2010 haben Diplomaten monatelang versucht, Israel und die Türkei zu versöhnen. Gestern nun hat Ankara Israels Botschafter ausgewiesen, die militärischen Kontakte abgebrochen und mit weiteren Schritten gedroht. Dabei hat ein Bericht der Vereinten Nationen gerade erst erklärt, dass Israel berechtigt gewesen sei, gegen das Schiff vorzugehen.
Auch Kritik an Israel
Der UN-Bericht sollte dabei helfen, die 15 Monate alte Dauerkrise zwischen Israel und der Türkei beizulegen. Doch nachdem der Inhalt des Berichts der „Palmer-Kommission“ bekannt wurde, standen in Ankara die Zeichen auf Sturm. Schon länger hatte man hier mit einem „Plan B“ gedroht, falls Israel sich nicht vor der Veröffentlichung des Berichts für den Zwischenfall auf der „Mavi Marmara“ entschuldige und die Seeblockade des Gazastreifens aufhebe.
Der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu setzte gestern jenen Plan just an dem Tag in Gang, an dem der Bericht der UN-Kommission Israel in vielen kritischen Fragen Recht gab. „Israel hat alle Gelegenheiten verschenkt, die Krise beizulegen, und muss jetzt dafür zahlen“, so Davutoğlu in militantem Ton. „Die diplomatischen Beziehungen werden auf das Niveau des zweiten Sekretärs heruntergesetzt“, sagte der Minister in der eilig einberufenen Pressekonferenz. Ferner würden alle militärischen Kontakte und Verträge annulliert. Die Türkei erkenne Israels Seeblockade gegen Gaza nicht mehr an und werde sie fortan vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag bekämpfen und Israels Gegner unterstützen.
Dabei befindet jetzt der UN-Bericht eben jene Blockade für „rechtmäßig und angemessen“. „Israel sieht sich einer ernsthaften Bedrohung seiner Sicherheit von Seiten militanter Gruppen im Gazastreifen gegenüber“, konstatiert der Bericht. Seit 2005 hätten diese mehr als 5000 Raketen und Granaten auf israelische Bevölkerungszentren abgefeuert. Die Seeblockade sei deswegen „eine legale Sicherheitsvorkehrung, die verhindern soll, dass Waffen den Gazastreifen auf dem Seeweg erreichen“. Ihre Umsetzung werde „den Anforderungen internationalen Rechts gerecht“, so die Kommission, an der der ehemalige Premierminister Neuseelands, Geoffrey Palmer, Kolumbiens Ex-Präsident Alvaro Uribe und jeweils ein Repräsentant Israels und der Türkei teilnahm. Sie erklären: Israel „erfüllt gegenüber Gaza seine humanitären Verpflichtungen.“ Deswegen stelle die Blockade „keine kollektive Bestrafung der Bevölkerung Gazas“ dar.
Die Kommission kritisiert jedoch auch Israel scharf: Zwar seien die Soldaten bei ihrer Landung an Bord der „Mavi Marmara“ auf „erheblichen, organisierten und gewalttätigen Widerstand gestoßen“. Israel habe es vor Beginn der Operation jedoch versäumt, andere Mittel anzuwenden, und habe nur vier von fünf Warnungen ausgesprochen. Die meisten Menschen an Bord seien zweifellos Friedensaktivisten gewesen; gegenüber einem „harten Kern“ von 40 Aktivisten der türkischen Organisation IHH beständen hingegen „ernsthafte Zweifel bezüglich ihres Verhaltens und ihrer Absichten“ . Israels Erklärungen, wie es dazu gekommen sei, dass die Toten „mehrere Schusswunden hatten – davon auch einige aus nächster Nähe oder in den Rücken“, seien nicht zufriedenstellend.
Obschon der Bericht den Ausgleich zwischen Jerusalem und Ankara anstrebt, hat die Türkei ihn umgehend abgelehnt: „Dieser Bericht existiert für uns nicht“, sagte gestern Staatspräsident Abdullah Gül. Damit ist eine Beilegung der Krise in noch größere Entfernung gerückt. Den Forderungen der Türkei nach einer offiziellen Entschuldigung, Entschädigung, aber vor allem nach Aufheben der Seeblockade wird Israel kaum nachkommen. Jerusalem ist nur dazu bereit, sein Bedauern über den Verlust von Menschenleben auszudrücken und Geld in einen türkischen Hilfsfonds einzuzahlen.
Eine Aufhebung der Blockade steht für Israel nicht zur Debatte – insbesondere nach einer Woche, in der mehr als hundert Raketen aus Gaza abgefeuert wurden. Jerusalem ist mit dem Inhalt des Berichts zufrieden, reagiert jedoch vorsichtig, um die Krise mit der Türkei nicht weiter anzufachen. Israels Regierung ist überzeugt, dass türkische Sprecher mit ihrer aggressiven Haltung vom Inhalt des Berichts ablenken wollen. Ferner wolle Ankara die Beziehungen zur arabischen Welt verbessern, indem es Israel öffentlich demütige. Güls gestrige Erklärung verleiht dieser Einschätzung Auftrieb: „Die Türkei wird als das stärkste Land der Region die Rechte aller notleidenden Menschen verteidigen.“
Israelisch-türkische Eiszeit beginnt im Mai 2010
Die Eiszeit in den israelisch-türkischen Beziehungen begann am 31. Mai 2010 mit der Erstürmung türkischer Schiffe durch israelisches Militär. Die islamisch-türkische Stiftung für humanitäre Hilfe hatte Boote gechartert, die als „Solidaritätsflotte“ Israels Seeblockade des Gazastreifens durchbrechen sollten.
Bei dem israelischen Nachteinsatz wurden neun Aktivisten getötet. Mehr als 50 weitere Personen sowie sieben israelische Soldaten wurden verletzt, als Militär von Kommandobooten und Hubschraubern aus sechs Boote enterte. Die Armee machte gewaltbereite Aktivisten für den Zwischenfall verantwortlich, die Soldaten „mit Metallstöcken und Messern angegriffen“ hätten.
Die Organisation „Free Gaza“ bestritt die Vorwürfe und erklärte, die Soldaten hätten „begonnen zu schießen“. Der Vorfall habe sich zudem in internationalen Gewässern ereignet. (dpa)
„Die Seeblockade ist eine legale Sicherheitsvorkehrung.“
Zitat aus dem Bericht der UNO |
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