Mitten in Berlin entführt wie ein Agent im Kalten Krieg

In Vietnam steht ein angeblicher Dissident vor Gericht , der nach Deutschland geflüchtet war. Nun droht ihm sogar die Todesstrafe.

Interessanter Artikel der Aachener Nachrichten – Stadt

Mitten in Berlin entführt wie ein Agent im Kalten Krieg
In Vietnam steht ein angeblicher Dissident vor Gericht , der nach Deutschland geflüchtet war. Nun droht ihm sogar die Todesstrafe.

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Hanoi. Das Straflager B 14 in Vietnams Hauptstadt Hanoi ist kein gewöhnliches Gefängnis. Der streng gesicherte Bau untersteht dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit, dort bringt der kommunistische Einparteienstaat Dissidenten unter. Oder auch Parteigänger, die sich der Korruption in besonders schweren Fällen schuldig gemacht haben sollen. Zu dieser Gruppe gehört ein Mann, der bis vor ein paar Monaten noch einigermaßen sorglos in Berlin lebte: Trinh Xuan Thanh (kurz: TXT), ehemals Chef einer Tochterfirma des staatlichen Energiekonzerns PetroVietnam (PVN) und hochrangiger KP-Funktionär, bis er in Ungnade fiel und sich nach Deutschland absetzte.

Am Montag beginnt in Hanoi der erste Prozess gegen den 52-Jährigen, bei einer Verurteilung droht ihm die Todesstrafe. Solche Gerichtsverfahren hat es in Vietnam schon mehrere gegeben, ohne dass sie international größeres Aufsehen erregt hätten. Was den Fall TXT so heikel macht, sind die Umstände: Die Bundesregierung ist überzeugt davon, dass der reiche Geschäftsmann, der einst zu DDR-Zeiten in Deutschland studierte, Opfer einer Entführung wurde, wie man sie sich nach dem Ende des Kalten Kriegs eigentlich nicht mehr vorstellen konnte.

Die Rolle des Geheimdienstes

Nach Erkenntnissen der deutschen Ermittler wurde Thanh am 23. Juli auf offener Straße gekidnappt, als er zusammen mit seiner Freundin in der Nähe des Bundeskanzleramts spazieren ging. Demnach wurde das Paar von einem Überfallkommando in einen VW-Transporter mit tschechischem Kennzeichen gezerrt, verhört und schließlich zurück nach Vietnam geflogen. Dahinter sollen der vietnamesische Geheimdienst und die vietnamesische Botschaft in Berlin stecken. Die Bundesregierung nennt das Ganze einen „unakzeptablen Rechtsbruch“.

Nach vietnamesischer Lesart stellt sich die Sache anders dar. Hanoi behauptet, dass Thanh aus freien Stücken zurückkam. Das Staatsfernsehen führte den ehemaligen KP-Kader im letzten Sommer mit den Worten vor: „Ich bin zurück, um der Wahrheit ins Auge zu sehen. Und ich will hohe Führer treffen, um mich zu entschuldigen.“ Unter welchen Umständen die Aufnahmen zustande kamen, ist nicht bekannt.

Konkret wird ihm in der Anklageschrift nun zur Last gelegt, als Chef des Baukonzerns PetroVietnam Construction (PVC) umgerechnet mehr als 50 Millionen Euro zweckentfremdet zu haben. Mindestens vier Milliarden vietnamesische Dong (etwa 150 000 Euro) soll er in die eigene Tasche gesteckt haben.

Korruption ist in Vietnam weit verbreitet. Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Vietnam auf Rang 113 von 176 Positionen. Die aktuelle Führung unter KP-Generalsekretär Nguyen Phu Throng hat eine Anti-Korruptions-Kampagne gestartet. Viele sehen darin allerdings einen Machtkampf zwischen seinen Anhängern und dem Lager des früheren Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung, zu dem auch TXT gerechnet wird. Vietnam gehört zu den wenigen Ländern der Welt, das wegen Korruption die Todesstrafe verhängt – und sogar vollstreckt. Die deutsche Botschaft in Hanoi kündigte an, sie werde den Prozess gegen TXT „sehr eng beobachten und begleiten“.

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