Provokationen,Prügel und üble Propaganda

 

 

Mi, 29. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Die Seite Drei / Seite 3

Das Thema: Kampf gegen die Neonazi-Szene

Provokationen,Prügel und üble Propaganda

589 Strafverfahren listet die Verfügung auf, mit der das NRW-Innenministerium die Neonazi-Bande „Kameradschaft Aachener Land“ verboten hat

Von Michael Klarmann

Aachen. 900 Polizeibeamte führten am Donnerstag vergangener Woche einen landesweiten Schlag gegen die Neonazi-Szene. Drei Gruppen wurden verboten, darunter die „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). Der Leiter des Kommissariats „Rechts motivierte Kriminalität“ (REMOK), Stephan Zenker, sagte danach, die Neonazi-Bande habe eine „Systemüberwindung“ angestrebt, also den demokratischen Rechtsstaat aggressiv bekämpft. Ihr Aktionsraum sei „die Straße“ gewesen. Und: „Die KAL war ganz massiv darauf ausgerichtet, Straftaten zu begehen.“ Ermittelt wird derzeit etwa gegen KAL-Mitglieder wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Das Mitglied des Dürener Kreistages, Ingo Haller, steht im Verdacht, eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben.

Zumindest geht beides aus der 66-seitigen Verbotsverfügung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums hervor, das die Polizisten zu Beginn der Razzia jedem mutmaßlichen KAL-Mitglied aushändigten und das unserer Zeitung vorliegt. Den Neonazis, die im Verdacht stehen, einen Mord in Wassenberg begangen zu haben, wurde das Schreiben in ihren Zellen überreicht, sie sitzen derzeit in Untersuchungshaft.

Auch Haller, lange Jahre NPD-Kreisvorsitzender in Düren und im Zuge eines Machtkampfes aus der Partei ausgeschlossen, wurde eine Verbotsverfügung zugestellt. Haller, der 2009 für die NPD in den Kreistag Düren gewählt wurde und diesem nun als parteiloses Mitglied angehört, war als Autor für die KAL-Homepage tätig.

So schrieb Haller in einem Beitrag über ein Neonazitreffen mit fast 150 Besuchern in einer alten Klosteranlage in Erkelenz im März 2012, man habe „mehr als 600 Euro für die Kameraden in Haft gesammelt.“ Das Geld sollte „Kameraden“ im Rheinland und in Rheinland-Pfalz gespendet werden, gegen die wegen Bildung der kriminellen Vereinigung „Aktionsbüro Mittelrhein“ vorgegangen wird und die in U-Haft sitzen. Gegen den Autor des Textes, also Haller, so heißt es in der KAL-Verbotsverfügung, bestehe „der Anfangsverdacht wegen des Tatvorwurfs der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.“ Tat- und Publikationsort auch hier: die Homepage der Neonazi-Gruppe.

Zwar wurde die KAL nach dem Vereinsgesetz verboten, allerdings stellt man nicht explizit in der Verbotsverfügung fest, dass auch sie eine kriminelle Vereinigung ist. Ermittlungen in dieser Richtung könnten jedoch noch folgen. So wird in der Verfügung durch das Düsseldorfer Innenministerium festgestellt, dass zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 1. Juni 2012 insgesamt gegen KAL-Mitglieder 589 Strafverfahren eingeleitet wurden. Zugestellt wurde die Verbotsverfügung übrigens an 46 Personen, was das Ausmaß der kriminellen Energie verdeutlicht. Dabei geht es um Bedrohungen, Gewalttaten und Propagandadelikten, aber auch um Vorfälle aus dem Bereich der „allgemeinen Kriminalität“.

Opfer waren Migranten, Angehörige sozialer Randgruppen und besonders Menschen aus dem linken Spektrum. Letztgenannte seien oftmals „ohne Hinzutreten weiterer Gründe sofort und unvermittelt tätlich angegriffen“ worden. Hierzu, heißt es in der Verbotsverfügung, habe es „keiner weiteren Absprache“ unter KAL-Leuten benötigt, denn ihre „ideologische Ausrichtung löst unmittelbar den Tatimpuls aus und macht Menschen zu Feinden, die körperlich angegriffen werden.“

So etwa in der Aachener Innenstadt an einem Sonntagmittag im Juni 2011. Eine Gruppe von rund 20 KAL-Mitgliedern greift einen jungen Mann auf einem Skateboard an, den sie als Nazigegner identifizieren. Man jagt ihn, bis er sich in den Pkw eines Passanten flüchtete. Die Neonazis bedrohen den Fahrer, sprühen Reizgas ins Autoinnere, schlagen auf das Blech und den Skater ein, bis den Opfern die Flucht gelingt.

Die KAL-Verbotsverfügung listet insgesamt 14 solcher schweren Straftaten exemplarisch auf, um das Verbot zu untermauern. Aufgeführt wird dabei etwa der Fall eines Punks in Heinsberg, der massiv bedroht wird und dem die KAL am 25. Dezember 2011 ein blutiges Tierherz in den Briefkasten steckt. Dazu findet er eine „Karte“ der KAL, auf der rote Herzen aufgeklebt und handschriftliche Grüße vermerkt sind: „Ein Herz für Antifa’s wünscht deine K-A-L“. Im Februar 2011 stürmen KAL-Leute in Wassenberg eine alternative Rockkneipe, laut Verbotsverfügung überwiegend von „Personen des linken Spektrums besucht“, und greifen Gäste an.

Erst „Hitler-Gruß“, dann Schläge

Auch die aktuell schwerste Straftat listet die Verfügung aus dem Ministerium auf. Auch sie trug sich in Wassenberg zu – und nur durch glückliche Umstände scheint es keinen Toten gegeben zu haben. Denn im September 2011 versuchen im Umfeld eines Jugendtreffs KAL-Leute Jugendliche anzuwerben. Zwei Männer und eine Frau begrüßen Umstehende mit „Sieg heil“ und „Heil Hitler“ und heben den rechten Arm zum Hitler-Gruß. Es kommt zum Streit zwischen den Neonazis und einem 47-Jährigen und dessen Lebensgefährtin. Ein KAL-Mann schlägt dem Mann mit einer Bierflasche auf den Kopf und mit der Faust ins Gesicht. Nachdem das Opfer stark am Kopf blutend zu Boden geht, fordern das KAL-Mitglied und dessen Ehefrau umstehende Jugendliche auf, den Mann „plattzumachen“. Das KAL-Mitglied und zwei Jugendliche treten gegen Kopf und Oberkörper des Opfers und verletzen es schwer.

Drei „Sektionen“

Die KAL verfügte laut Verbotsverfügung über eine Frauengruppe nebst Anführerin und über „Sektionen“ in Aachen, Düren und Heinsberg. Jede „Sektion“ wurde von einem „Kameraden“ geleitet, die Gesamtgruppe wurde von einem Trio angeführt, an dessen Spitze René Laube aus Vettweiß-Kelz stand. Es gab eine Kasse nebst Kassenwart.

Und Laube könnte noch wegen einer Passage in der Verbotsverfügung in Bedrängnis geraten. Im Rahmen von Ermittlungen wegen eines Eintrages auf der KAL-Homepage zur Glorifizierung von Adolf Hitler plauderte der KAL-Chef demnach gegenüber der Polizei die Namen von drei „Kameraden“ aus, die die Website administrierten. Hausdurchsuchungen bei den drei Neonazis liefen danach aber ins Leere. Beweismittel, also Computer und Datenträger, waren verschlüsselt und konnte von den Ermittlern nicht geknackt werden.

Da die Homepage anonym über User in Hongkong und in der Türkei registriert ist, konnten die Ermittler den Webmaster nicht identifizieren. Das Verfahren wurde eingestellt. Ebenso ergebnislos blieben Verfahren, nachdem die KAL die Zwickauer Terrorzelle verherrlicht hatte. Nicht ermittelt werden konnten auch Verantwortliche für ein Tool auf der Homepage, das automatisch eine Grafik nachlud, wenn die Internetkennung eines Behörden-Computers registriert wurde. Geschah dies, veränderte sich die Startseite der Homepage automatisch und wies den Vertreter der „Judenrepublik“ darauf hin, dass er die Homepage nicht „betreten“ durfte.

„Ihre ideologische Ausrichtung löst unmittelbar den Tatimpuls aus und macht Menschen zu Feinden, die körperlich angegriffen werden.“

Aus der Verbotsverfügung des NRW-Innenministeriums

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