Volksverhetzung, Geiselnahme und Hitlers Geburtstag

 

Fr, 24. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Euregio / Seite 5

Volksverhetzung, Geiselnahme und Hitlers Geburtstag

Warum die „Kameradschaft Aachener Land“ nicht bloß eine kleine Schlägerbande politisch verirrter junger Menschen war

Von Michael Klarmann

Aachen. Die „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) ist 2001 gegründet worden. Allerdings gab sie seit geraumer Zeit selbst an, erst 2002 gegründet worden zu sein. Sie war die wohl älteste noch aktive Kameradschaft in NRW.

Ihre Mitglieder fielen immer wieder durch Straftaten wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Propagandadelikte, Bedrohungen und Volksverhetzungen auf, immer wieder mussten einzelne Mitglieder auch ins Gefängnis. Einem der führenden KAL-Mitglieder, einem Studenten aus Düren, wurde etwa die Verbotsverfügung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums gestern Morgen in seiner Zelle in der Haftanstalt Siegburg ausgehändigt. KAL-Mitglieder fielen zudem schon mit einer Geiselnahme und Sprengstoffdelikten auf.

Auch wenn die KAL zeitweise im Kreis Aachen besonders aktiv war, orientierte sich das „Aachener Land“ im Namen am alten Landkreis Aachen, zu dem auch die Kreise Düren und große Teile des Kreises Heinsberg gehören. So verorteten die Behörden auch lange den Schwerpunkt der KAL-Aktivitäten im Kreis Düren. In den letzten Jahren trat die KAL zudem vermehrt mit Sprühaktionen und Gewalttaten im Raum Heinsberg in Erscheinung. Der Kopf der Neonazigruppierung wiederum, ein einschlägig vorbestraftes Mitglied, lebt in Vettweiß-Kelz.

Die KAL organisierte gemeinsam mit der NPD und anderen Neonazis Aufmärsche in der Region und Treffen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden und konspirativ vorbereitet wurden. Wiederholt war es rund um den 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, zu Sprühaktionen der KAL gekommen, in denen Hitler gehuldigt, respektive ihm gratuliert wurde. Auch auf ihrer Internetseite gratulierte die KAL Hitler schon auf strafrechtlich relevante Weise anlässlich des „Führer-Geburtstages“. Die auf einem Server im Ausland liegende Homepage der KAL steht wegen zahlreicher solcher Delikte inzwischen auf dem Jugendschutzindex und ist über Internet-Suchmaschinen nicht mehr zu finden.

Probezeit: sechs Monate

Neonazi-Kameradschaften wie die KAL treten nach außen hin als lose Gruppen ohne Strukturen auf, was ein Verbot nach dem Vereinsgesetz verhindern soll. Dennoch verfügte die KAL über feste Strukturen. Die Mitglieder trafen sich regelmäßig, um Aktionen und Strategien zu beraten. Brisante Aktionen oder gezielte Angriffe auf politische Gegner wurden nur im kleinen Kreis besonders eingeschworener Mitglieder geplant und durchgeführt. Einmal im Jahr fand eine Jahreshauptversammlung statt.

Über Mitgliederzahlen gab es keine ganz genauen Angaben, zeitweise war von rund 20 die Rede, meist wird deren Zahl in Szenekreisen aber höher angegeben. So berichteten Szenevertreter im Jahr 2010, dass die KAL 30 bis 60 Mitglieder habe. Unklar blieb dabei, ob bei den Angaben auch Mitläufer und Anwärter mitgezählt wurden. Interessenten oder Kameraden anderer Gruppen werden etwa zum Umfeld gezählt oder als Mitläufer behandelt.

Neonazis, die sich der KAL anschließen wollten, wurden – ähnlich wie in einem Rockerclub – als Anwärter bezeichnet. Normalerweise mussten sich diese Anwärter in ihrer Probezeit, angelegt meist auf einen Zeitraum von sechs Monaten, als vertrauenswürdig und zuverlässig etwa bei der Begehung von Straftaten erweisen, bevor sie für eine Vollmitgliedschaft infrage kamen. Erst als Vollmitglied durften sie entsprechende Signets auf ihrer Kleidung beziehungsweise das T-Shirt der KAL tragen oder sich selbst als KAL-Mitglied bezeichnen.

Die anderen verbotenen Gruppierungen

„Nationaler Widerstand Dortmund“: Die Neonazi-Gruppierung wird den Autonomen Nationalisten zugerechnet, die als äußert gewaltbereit gelten. Rund 50 Mitglieder – etwa zwischen 15 und 25 Jahre alt – bilden den harten Kern. Ihr Aussehen wirkt modern. Zum Outfit gehören schwarze Kapuzenpullover, Turnschuhe und Sonnenbrillen. Propaganda-Slogans werden inzwischen auch auf Englisch gesprüht oder plakatiert, was vor Jahren in der Szene noch verpönt war. Die Gruppe ist äußerst aktiv. Durch die schnelle Verbindung in Nachbarstädte können die Mitglieder zu Spontanaktionen schnell weitere Anhänger mobilisieren.

„Kameradschaft Hamm“: Die Kameradschaft wirbt in Hamm mit Flugblatt-Aktionen und Informationsständen, organisiert dort auch Demonstrationen und hat Beziehungen zur NPD. Aufgrund der Nachbarschaft zu Dortmund werden Aktionen häufig gemeinsam gestartet. Nach einer längeren Auszeit war die Gruppierung zuletzt wieder verstärkt in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. (dapd)

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