„Wenn der hustet, haben alle zu kuschen“

Interessanter Artikel der Aachener Nachrichten – Stadtausgabe

„Wenn der hustet, haben alle zu kuschen“
Wie libanesische Familienclans im Ruhrgebiet ganze Straßenzüge für sich reklamieren und Parallel-Justiz betreiben. Ein Polizist packt aus.

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28.01.2017

„Wenn der hustet, haben alle zu kuschen“

Wie libanesische Familienclans im Ruhrgebiet ganze Straßenzüge für sich reklamieren und Parallel-Justiz betreiben. Ein Polizist packt aus.

Von Johannes Nitschmann

Gelsenkirchen/Düsseldorf. In seinem Revier scheint Ralf Feldmann förmlich auf einem Pulverfass zu sitzen. „Wenn da ein Auto mit Fehlzündungen vorbeifahren würde, dann würde es knallen“, sagt der Leiter der Polizeiwache im Gelsenkirchener Süden, „so angespannt ist die Situation“. Feldmann redet über Tumult- und Gewaltdelikte libanesischer Familienclans, die in seinem Ruhrgebiets-Kiez ganze Straßenabschnitte für sich reklamieren.

Die explosive Zone beginnt unweit des Gelsenkirchener Hauptbahnhofs und erstreckt sich im Süden auf die Stadtteile Rotthausen, Ückendorf und Bismarck. Wie von Geisterhand dirigiert rotten sich dort mitunter 50 bis 60 Libanesen zusammen, um Führerschein- und Personenkontrollen zu boykottieren. „Da wird auf den Streifenwagen gespuckt. Dann ist die ganze Frontscheibe berotzt. Die sind aggressiv bis zum Gehtnichtmehr.“ Häufiger bekämen die Polizisten zu hören: „Haut hier ab! Die Straße gehört uns, ihr habt hier nichts zu melden.“ Oder: „Ich fick dich auf dem Rücken deiner Mutter.“

Tristesse in Gelsenkirchen

Schrott-Immobilien und leerstehende Ladenlokale verströmen Tristesse im Gelsenkirchener Süden. Viele Deutsche haben längst die Flucht ergriffen. Immer mehr Internet-Cafés, Wettbüros und Shisha-Bars siedeln sich an. Das geschäftige Treiben kann die Langeweile vieler Zuwanderer kaum kaschieren. Perspektivlosigkeit macht sich breit. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit ist hier exorbitant hoch. 90 Prozent der libanesischen Jugendlichen sind laut Polizei ohne Schulabschluss und Ausbildung.

Aggression und Respektlosigkeit gehören für Feldmann zum Polizeialltag. „Wir werden nicht mit dem Tagesgruß begrüßt, sondern man wird gleich gefragt, ob man Geschlechtsverkehr mit den Leuten haben möchte“, erzählt der Erste Polizeihauptkommissar. Manchmal würden die Beamten auch mit Knallkörpern beworfen, „sogenannten Polen-Böllern“. Der 56-jährige Wachleiter hat sich im Laufe der Jahre ein dickes Fell zugelegt. „Wenn einer zu mir Bulle sagt, dann ist das für mich nicht mehr beleidigend, weil ich das oft genug gehört habe.“

Jäger: Es gibt keine „No-Go-Areas“

Wollte er sämtliche Beleidigungen strafrechtlich verfolgen, müsste er manchmal 200 Anzeigen am Tag schreiben, berichtet Feldmann dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) im Düsseldorfer Landtag. Der U-Ausschuss soll aufklären, ob es in Ruhrgebietsstädten wie Duisburg, Essen oder Gelsenkirchen kriminelle Brennpunkte gibt, in die sich Polizei nicht mehr hineintraut – sogenannte No-Go-Areas.

Für den nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) ist das reiner Wahlkampf-Klamauk der Opposition. Am 14. Mai 2017 wird in NRW ein neues Landesparlament gewählt. „Es gibt in Nordrhein-Westfalen keine rechtsfreien Räume“, versichert Jäger. In Teilen habe diese politische Debatte bei ihm den Eindruck „einer faktenfreien No-Brain-Area“ (zu Deutsch: Kein-Hirn-Gebiet) hinterlassen.

Auch die Polizeibeamten vor Ort bestreiten unisono die Existenz von No-Go-Areas. „Es gibt keine Straßenabschnitte, wo wir sagen, dass die Polizei da nicht reinfährt“, sagt der Gelsenkirchener Wachleiter. Im Amtsdeutsch wird Feldmanns Revier „Angstraum“ oder „Hotspot“ genannt. Dort teilen sich oftmals libanesische Großfamilien Straßenzüge untereinander auf, um ohne Bandenrivalität ihren kriminellen Geschäften nachgehen zu können: Raubzüge, Rauschgifthandel und Schutzgelderpressung.

Teile dieser Familienclans seien „im Bereich des gesamten Strafgesetzbuchs unterwegs“, berichtet der Essener Polizeipräsident Frank Richter. Seine Amtsvorgängerin Stefania Fischer-Weinsziehr plädiert für eine differenzierte Debatte: „Ich wehre mich dagegen, jeden Familienclan als Vereinigung oder organisierte Kriminalität zu sehen.“ Feldmann dagegen kann durchaus mafiöse Strukturen erkennen: „Die geben ja nicht zu, was sie machen. Aber die Libanesen selber wissen, was sie für Geschäfte führen.“ Dabei hat der Kommissar vor allem die undurchsichtige „Familien-Union“ im Visier. Ein dubioser Verein, der vorgibt, „den sozialen Frieden zwischen Deutschen und Libanesen pflegen“ zu wollen.

Die Polizei dagegen hält diese Organisation für einen Hort des Unfriedens und der Straßenkämpfe. Der Vorsitzende der „Familien-Union“, ein mehr als 70-jähriger Senior, wohnt in Feldmanns Revier. „Dessen Arme reichen wirklich bis nach Berlin und nach Bremen“, mutmaßt der Wachleiter. „Wenn der hustet, dann haben alle zu kuschen.“ Feldmann hat den „alten, weisen Mann“ gefragt, ob er früher im Libanon oder in Kurdistan Bürgermeister gewesen sei. Er erhielt keine Antwort. Später erfuhr der Kommissar, dass es gegen das Oberhaupt der Familienclans „kriminalpolizeiliche Erkenntnisse wegen mehrfachen Totschlags“ gebe.

Immer wieder geht es bei den Clans um die Familienehre. Diese Ehre werde nicht durch Entschuldigungen, sondern durch Zahlungen wiederhergestellt, schildert Feldmann. „Es fließt Geld und dann ist wieder alles gut.“ Die Familienbande sind offenbar dicker als Blut. Wenn die Polizei im Milieu der Libanesen hartnäckig wegen einer Straftat fahnde, passiere es durchaus, dass ihnen von den Clans bereitwillig ein Täter auf die Wache gebracht werde. „Das sind aber nicht die, die die Tat ausgeführt haben, sondern es werden die Jüngsten aus der Familie genommen, weil die noch die höchste Lebenserwartung haben“, sagt der Hauptkommissar. „Die gehen für andere ins Gefängnis. Das ist so.“

Die libanesischen Verwandtschaften sind weit verzweigt. Eine einzige dieser Großfamilien zählt in Essen nach den Feststellungen der Ordnungsbehörde fast 1400 Mitglieder. Der Einfluss der „Familien-Union“ auf ihre Klientel ist offenbar gewaltig. „Wenn von denen einer aufs Parkett tritt, ist Ruhe“, sagt Feldmann – auch bei tumultösen Zusammenrottungen. Ein Vertreter der „Familien-Union“ müsse denen nur zwei, drei Sätze auf Arabisch sagen, dann entspanne die Eskalation auf der Straße. „Diejenigen, die uns eben noch mit Beschimpfungen und Beleidigungen absolut aggressiv entgegengetreten sind“, berichtet der Kommissar, bahnten den Ordnungshütern plötzlich bereitwillig den Weg: „Gehen Sie vorbei, Herr Polizei!“

„Ist das Parallel-Justiz?“, fragen die Abgeordneten im U-Ausschuss den Gelsenkirchener Wachleiter. „Ich glaube, ja“, antwortet der sachverständige Zeuge. „Viele sagen das.“ Allerdings lasse es sich schlecht beweisen. Immerhin gebe es zahlreiche Indizien. Feldmann wirkt keineswegs resigniert, sondern tatkräftig entschlossen. „Wir müssen die Strukturen aufbrechen und denen das Leben schwermachen bis zum Gehtnichtmehr.“ Warum es bisher nicht gelungen sei, diese mafiösen Strukturen aufzubrechen, will der FDP-Innenexperte Marc Lürbke im U-Ausschuss von dem Zeugen wissen. Der uniformierte Hauptkommissar zuckt mit seinen Fünf-Sterne-Schulterklappen: „Ich bin nur Leiter einer Polizeiwache.“

„Angst um mein Leben“

Über die Brisanz im Gelsenkirchener Süden hat Feldmann die Politik frühzeitig alarmiert. Drei führende Vertreter der „Familien-Union“ hätten ihm auf der Polizeiwache eröffnet, die Polizei werde „einen Krieg mit den Libanesen nicht gewinnen, weil wir zu viele sind“, hielt Feldmann bereits am 28. Juli 2015 in einer Aktennotiz für seine Dienstvorgesetzten fest. Der Wachleiter hat das seinerzeit nicht als Prahlerei, sondern als „ernstgemeinten Warnhinweis“ aufgefasst. Dies sei von den Libanesen „nicht einfach lapidar dahergesagt worden“, protokollierte der Erste Hauptkommissar, „sondern war aufgrund von Körpersprache, Gestik und Mimik augenscheinlich als Drohung gemeint“. Seither hat Feldmann vom Innenministerium zur Unterstützung Kräfte der Bereitschaftspolizei erhalten, die jetzt regelmäßig durch sein Revier patrouillieren.

Als irgendwann die Medien über die heikle Aktennotiz des Gelsenkirchener Wachleiters berichteten, „habe ich mich ganz schnell vom Acker gemacht“, erzählt Feldmann im U-Ausschuss. „Ich bin verreist, weil ich Angst um mein Leben hatte.“ Der Hauptkommissar ist kein Hasenfuß. Bei seinen Kollegen ist der 56-Jährige wegen seines preußischen Pflichtgefühls hochgeschätzt. Doch vor der „Familien-Union“ hat er erkennbar Manschetten. Als sein Stress mit den libanesischen Clans öffentlich wurde, sei er zunächst immer auf unterschiedlichen Strecken zum Dienst gefahren. „Oder auch zwei Mal durch den Kreisverkehr, um zu sehen, ob einer hinterherfährt.“

Die Clanchefs der Libanesen agieren nach den Erkenntnissen der Polizei dunkel im Hintergrund. Ohne Aufsehen zu erregen. „Die lungern nicht auf der Straße rum und fallen nicht auf“, urteilt Feldmann. Die seien „ein bisschen cleverer und intellektueller“ als ihr Fußvolk. „Die halten sich an alles, auch an Verkehrsregeln.“ Einer der führenden Köpfe sei im Security-Gewerbe tätig. Er falle lediglich durch die riesigen Reifen an seinem Sportboliden und seinen imposanten Körperbau auf. „Der hat ein Riesenkreuz“, sagt der Hauptkommissar sichtlich beeindruckt. „Wenn der Luft holt, dann atmet er uns ein, wenn wir alleine sind.“

Was ist eigentlich eine „No-Go-Area“?

Der Begriff „No-Go-Area“ kommt aus der Militärterminologie und steht dort für militärisches Sperrgebiet. Als Teil der Psychologischen Kriegsführung wurde im Vietnamkrieg Südvietnam in „Go-Areas“, die heimischen Gebiete, in denen die Bevölkerung versorgt und unterstützt wurde, und „No-go-Areas“, die gegnerischen Gebiete, aufgeteilt.Heute wird der Begriff in der gesellschaftlichen Diskussion hierzulande allgemein für Örtlichkeiten mit angeblich rechtsfreien Räumen oder zum Teil gefühlt erhöhter Kriminalität verwendet. Der Duden bezeichnet den Gebrauch insbesondere von Militär und Politik für „Stadtteil, Bezirk, in dem es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt und wo die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet ist.“

„Die geben ja nicht zu, was sie machen. Aber die Libanesen selber wissen, was sie für Geschäfte führen.“

Ralf Feldmann, Leiter einer Polizeiwache in Gelsenkirchen

„Wir werden nicht mit dem Tagesgruß begrüßt, sondern man wird gleich gefragt, ob man Geschlechtsverkehr mit den Leuten haben möchte.“

Ralf Feldmann, HauptKommissar

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