Fr, 22. Mai. 2015
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2
„Wir sind abhängig von der NSA“
BND-Präsident Gerhard Schindler tritt vor dem Untersuchungsausschuss die Flucht nach vorn an. Er sieht die Existenz seiner Behörde in Gefahr. Die Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst sei unverzichtbar.
Von Hagen Strauss
Berlin. Der Mann, der im Geheimen arbeitet, muss durch ein Spalier von Kameras: Gerhard Schindler, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, steht das Wasser bis zum Hals. Der BND, seine Behörde, ist ins Zwielicht geraten. Dafür muss er jetzt die Verantwortung übernehmen. Bei seinem Auftritt vor dem NSA-Untersuchungsausschuss tritt Schindler die Flucht nach vorn an.
Erst am frühen Abend ist der 61-Jährige, der seit 2012 den BND führt, an der Reihe. Zuvor war einer seiner Abteilungsleiter vernommen worden, zuständig für die „Technische Aufklärung“. Der Mann beherzigt das Prinzip der drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Manch einen im Ausschuss bringt das fast zur Weißglut. Denn die Abgeordneten erleben einen Vorgesetzten, der behauptet, von groß angelegten Löschaktionen illegaler Selektoren bis vor wenigen Wochen nichts gewusst und auch nicht nachgefragt zu haben. Hintergrund ist, dass der BND dem US-Dienst NSA über Jahre geholfen haben soll, europäische Firmen und Politiker auszuspähen. Die NSA schleuste dazu Selektoren (Suchbegriffe) in die Überwachungssysteme des BND in der Abhörstation Bad Aibling ein, die sich gegen Ziele in Europa richteten. Das fiel auch dem Nachrichtendienst mehrfach auf, unter anderem bei internen Prüfungen im August 2013. Von alledem will der Abteilungsle iter aber nichts mitbekommen haben. Im Ausschuss wird das zum Teil mit Hohn quittiert. Der Eindruck entsteht, dass der Geheimdienst ein Eigenleben führt, dass er ein in sich geschlossenes System ist, welches sich von außen nicht knacken lassen will.
Bei Schindler ist das etwas anders: Sein Auftritt ist klug kalkuliert, in seiner Ledertasche hat er zwei Aktenordner und mehrere Hefter dabei – Munition in Papierform. Zu Beginn verliest er eine mehrseitige Erklärung, die rhetorisch geschickt aufgebaut ist. Er lobt Abgeordnete und Medien, die jetzt zur Versachlichung der Debatte beitragen würden. In Wahrheit sieht man das beim BND und im Kanzleramt anders. Dann lobt Schindler seine 6500 Mitarbeiter, für „alles und alle“ trage er die Verantwortung. Noch wichtiger sind diese Botschaften: Der BND wird dringender denn je benötigt. Genauso wie die internationale Kooperation mit anderen Diensten.
Glaubt man Schindler, so ist seine Truppe inzwischen so etwas wie das Schmuddelkind unter den Spionen. In Europa würde man bereits zu wichtigen Gesprächen nicht mehr eingeladen wegen der in Deutschland laufenden Debatte. „Erste Partnerdienste in Europa überprüfen die Zusammenarbeit mit dem BND.“ Die Existenz seiner Behörde sieht der oberste Spion sogar in Gefahr.
Zugleich erinnert er die Abgeordneten daran, wie wichtig die Kooperation ist: „Wir sind abhängig von der NSA und nicht umgekehrt“, erklärt Schindler. Das hört man vor allem bei der Opposition nicht gerne. Der US-Geheimdienst gefährde nicht die Sicherheit Deutschlands, sondern helfe, diese zu schützen. „Unsere Leistungsfähigkeit beruht auf internationaler Zusammenarbeit. Sie ist unverzichtbar.“ So sei es dem BND gelungen, in Afghanistan 19 Anschläge auf deutsche Soldaten zu verhindern. Zudem agiere man zweckvoll in der Ukraine-Krise und im Kampf gegen den islamistischen Terror. Eindringlich betont Schindler: „Der Bundesnachrichtendienst arbeitet für deutsche Interessen, für Deutschland und für niemand anderen.“ Bei der anschließenden Befragung, die sich bis in den späten Abend zieht, zeigt sich nicht jeder Abgeordnete davon gänzlich überzeugt.
Mehrheit bezweifelt, dass BND-Affäre aufgeklärt wird
Fast zwei Drittel der Deutschen bezweifeln einer Umfrage zufolge, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aufrichtig um Aufklärung der BND/NSA-Affäre bemüht. 62 Prozent haben diese Zweifel, nur 28 Prozent glauben, dass die Bundeskanzlerin eine komplette Aufklärung anstrebt.
Zweifel an der Ernsthaftigkeit von Merkels Bemühungen haben dem „Deutschlandtrend im ARD-Morgenmagazin“ zufolge vor allem Anhänger der Oppositionsparteien und der SPD. Aber auch 42 Prozent der Unionsanhänger sind der Überzeugung, die Kanzlerin kümmere sich nicht ausreichend um Aufklärung.