„Wir sind auf dem rechten Auge nicht blind“

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Sa, 17. Dez. 2011
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 18

Das Thema: Rechtsextremismus

„Wir sind auf dem rechten Auge nicht blind“

Staatsanwaltschaft Aachen weist alle Vorwürfe, sie ermittle gegen Linke schneller, weit zurück. 194 Verfahren gegen Neonazis.

Von Heiner Hautermans
und Wolfgang Schumacher

Aachen. „Wir haben uns nichts vorzuwerfen.“ So formulierte es der für politische Fragen zuständige Dezernent Lutz Bernklau: Die Aachener Staatsanwaltschaft sei konsequent gegen rechte Umtriebe vorgegangen und keineswegs „auf dem rechten Auge blind“, wie immer wieder aus linkem politischen Umfeld zu hören sei. In einem rund zweistündigen Gespräch mit der Aachener Strafverfolgungsbehörde fragten die „Nachrichten“ – nach den jüngsten Terror-Offenbarungen aus Zwickau – nach „rechter Gewalt“ in der Aachener Region.

Mit den Gesprächspartnern Oberstaatsanwalt Lutz Bernklau, Pressedezernent Oberstaatsanwalt Robert Deller, Staatsanwalt Jan Baltasar und der Leitenden Oberstaatsanwältin Elisabeth Auchter-Mainz wurden die Themenbereiche Aktivitäten der rechtsnationalen Kameradschaft Aachener Land (KAL), Grad und Härte der Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Aktivisten wie mögliche Erkenntnisse über terroristische Gewalttäter in der hiesigen Region erörtert.

Ein Anlass des Gesprächs waren die wiederholten Vorwürfe anlässlich eines aktuellen Prozesstermins. Hier wurde den Behörden vorgeworfen, die Verfolgung zweier bekannter KAL-Mitglieder, die sich an einem organisierten Übergriff rechter Aktivisten auf eine linke Demonstration im Jahr 2008 in der Aachener Innenstadt beteiligt hatten, zu langsam abgewickelt zu haben. Linke, die ins Fadenkreuz geraten seien, hätten bereits lange einen Strafbefehl zu Hause, hieß es wiederholt.

Dem widersprach die Behördenleiterin Elisabeth Auchter-Mainz energisch. Im angesprochenen Fall sei der Vorsitzende Richter des Jugendschöffengerichts im Verfahren erkrankt, nur so sei der Zeitverzug zustande gekommen. Staatsanwalt Jan Baltasar brachte eine anderes Verfahren ins Spiel, das sich gegen zwei rechte Täter gerichtet hatte, die in Aachen Sprengkörper gebastelt und sie auf eine Fahrt zu Mai-Demonstrationen in Berlin mitgenommen hatten. „Da haben wir das Maximale herausgeholt“, bekräftigte Baltasar. Die Sprengsätze seien nicht sehr gefährlich gewesen, bessere Chinaböller. Trotzdem habe die Staatsanwaltschaft für den Haupttäter zwei Jahre und acht Monate, für den Begleiter zwei Jahre und vier Monate beantragt, das sei im Verhältnis hoch. Beide erhielten eine Strafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Baltasar: „Wenn es nach uns gegangen wäre, wären sie in Haft geblieben. Das war ein Warnschuss für die. “

Zur Frage, ob es in unserer Region etwaige gewaltbereite rechte Terrorzellen nach Zwickauer Vorbild gebe, schüttelten die Ermittler den Kopf. Dieses Thema liege ausschließlich im Zuständigkeitsbereich des Generalstaatsanwalts, erklärten die Aachener. Und von dieser Seite habe es keine Informationen gegeben, dass in der hiesigen Region Ermittlungen laufen. Taten wie die sogenannten Döner-Morde seien hier nicht bekannt. „Gäbe es in unserem Bereich eine solche oder eine ähnliche Tat“, erklärte Bernklau, „dann wüssten wir davon“.

Die Kameradschaft Aachener Land (KAL) ist allerdings ein Dauerthema in Aachen. Gibt es dort V-Männer? „Eine Antwort hierauf wäre lebensgefährlich für die Betreffenden“, erklärte der Dezernent für politische Fragen. Doch er gibt eine Einschätzung. Man müsse sich das wie im Bereich Drogenkriminalität vorstellen. Dort würden verdeckte Ermittler auch erst dann eingesetzt, wenn es in die mittleren und hochrangigen Bereiche der Verfolgung organisierter Kriminalität gehe. Übertragen auf die KAL heiße das, die dort angesiedelten Delikte erreichen diese Schwelle nicht oder noch nicht.

Vor dem Asylantenheim

Zu einem oftmals geforderten Verbot der KAL – gefordert etwa durch das Herzogenrather Bündnis gegen Rechtsextremismus und die Aachener SPD – äußerte sich Bernklau pragmatisch. „Uns hier in Aachen würde das die Arbeit erleichtern. Denn dann wäre die Kölner Staatsschutzkammer zuständig“.

Die Vergleichszahlen rechter und linker Vergehen und/oder Straftaten sehe folgendermaßen aus: Gegen Links seien bis zum 30. November dieses Jahres 149 Verfahren anhängig, davon 125 Delikte im Zusammenhang mit Demonstrationen.

Da gehe es vorrangig um das Vermummungsverbot. Das Delikt werde zwar ermittelt, zumeist aber wieder eingestellt, es sei denn, es handele sich um einen Wiederholungstäter.

Es bleiben 24 Straftaten, die verfolgt werden. Demgegenüber existieren auf der rechten Seite 194 Verfahren, davon 56 wegen ausländerfeindlichen Verhaltens, dazu 103 aus dem Katalog rechtsradikaler Umtriebe wie öffentliche Bekenntnisse zu Hitler, das Anbringen von Hakenkreuzen, Körperverletzungen oder Schmierereien. 35 Delikte gebe es im Umfeld von Demonstrationen.

Die Behördenleiterin Auchter-Mainz fasste zusammen: „Die Staatsanwaltschaft sucht sich ihre Klientel nicht aus. Wir sind auf keinem Auge blind. Wir gehen mit zwei sehenden Augen an die Ermittlungen ran.“

Wenn – wie in Stolberg passiert – Rechte mit Fackeln und Stiefeln vor ein Asylantenheim zögen, dann sei das Volksverhetzung. Jan Baltasar: „Alle, die wir identifiziert haben, wurden angeklagt.“

„Gäbe es in unserem Bereich eine solche oder eine ähnliche Tat, dann wüssten wir davon.“

Lutz Bernklau,

Oberstaatsanwalt

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