In den Mühlen der NS-Justiz

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Fr, 2. Mär. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 17

In den Mühlen der NS-Justiz

Die Ausstellung „Was damals Recht war. . . Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“ wird am 6. März in der Nadelfabrik eröffnet.

Von Martina Rippholz

Aachen. „Wenn Euch dieser Brief erreicht, bin ich nicht mehr“, schrieb Franz Fellner in einem Brief an seine Schwester Mathilde im Februar 1942 kurz vor seinem Tod. Wenige Wochen später, am 7. März, wurde er in Stettin erschossen. Fellner war im Zweiten Weltkrieg Matrose der deutschen Marine – und fahnenflüchtig. Er war einer von rund 30 000 Menschen in Europa, die als Deserteure – sogenannte Wehrkraftzersetzer oder Volksschädlinge – im Dritten Reich der Willkür der Justiz zum Opfer fielen. Jetzt hängt sein Brief als einer von mehreren in der Nadelfabrik am Reichsweg.

Sie bilden zusammen mit zahlreichen Bildern, Karten, Videosequenzen, Gerichtsurteilen und anderen Textdokumenten die Ausstellung „Was damals Recht war… Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht“, die am Dienstag, 6. März, eröffnet wird. Winfried Casteel von der Volkshochschule (VHS) wollte die Schau schon lange nach Aachen holen: „Seit 2007 wandert sie bereits durch deutsche Städte. Doch wir hatten lange keinen Raum und keine Finanzierung.“

In diesem Jahr war dann beides endlich gefunden. Zum einen die rundum sanierte Nadelfabrik als passender Präsentationsort, wie Walter Köth von der städtischen Wirtschaftsförderung bestätigt: „Die Themen unseres Hauses lauten Integration und Identität. Da ist es wichtig, sich auch mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen.“ Zum anderen wird die Ausstellung aus dem Topf des bundesweiten Aktionsplans gegen Rechtsextremismus gefördert, dem sich Aachen im Jahr 2010 angeschlossen hat. Organisiert wird „Was damals Recht war…“ von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin, hier vor Ort unterstützt von VHS und Förderverein „Wege gegen das Vergessen“.

Zwei Themenschwerpunkte

Zwei Themenschwerpunkte nennt Casteel, über die sich die Besucher vom 6. bis zum 30. März auf eigene Faust oder in fachlichen Führungen auf rund 200 Quadratmetern Ausstellungsfläche informieren können. Einer ist die Geschichte der Militärgerichtsbarkeit in der NS-Zeit. Der Blick fällt aber auch auf die Zeit von Hitlers Machtergreifung 1933 sowie auf die Nachkriegszeit. Denn erst im September 2009 hat der Deutsche Bundestag die letzten Unrechtsurteile der Wehrmachtsjustiz des Zweiten Weltkriegs aufgehoben.

Der andere Schwerpunkt liegt auf den Menschen. Anhand von zwölf Biografien wird gezeigt, wie Deserteure, aber auch Zwangsarbeiter und Widerständler in die Mühlen der willkürlichen Justiz gerieten. Allein in Aachen seien 24 Menschen zum Tode verurteilt worden, wovon die Hälfte der Urteile vollstreckt wurde, erläutert Casteel, der an der VHS die Abteilung Politische Bildung, Recht und Arbeit leitet. Abgebildet würden aber auch Täter, wie zum Beispiel der Richter Karl Everts, der verdächtige Kriegsdienstverweigerer foltern ließ, um Geständnisse zu erzwingen. Pikant: Anfang der 50er Jahre fand Everts eine Anstellung beim Amtsgericht in Aachen. Casteel: „Dass Täter nach dem Krieg wieder in Amt und Würden kamen, war nicht ungewöhnlich. Auch das ist ein wichtiger Teil dieser Ausstellung.“

Um die umfangreichen Informationen den Besuchern zu vermitteln, haben die Organisatoren ein großes Rahmenprogramm auf die Beine gestellt. Zum Auftakt etwa hält der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Dr. Christoph Rass einen Vortrag zum Thema „Die NS-Militärjustiz und ihre Richter“, der nach der Eröffnung in der Nadelfabrik beginnt. Rass war mehrere Jahre als Historiker an der RWTH tätig, bevor er nach Osnabrück wechselte. Er hat die Ausstellung mit aufgebaut. Weitere Vorträge, Filmvorführungen und Führungen – auch Schulen – finden den März hindurch statt.

Filme, Führungen und eine weitere Gedenktafel

Eröffnet wird die Ausstellung „Was damals Recht war…“ in der Nadelfabrik, Reichsweg 19-41, am Dienstag, 6. März, um 18.30 Uhr von VHS-Direktor Werner Niepenberg und Dr. Ulrich Baumann, stellvertretender Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Geöffnet ist montags bis freitags von 11 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 16 Uhr, der Eintritt ist frei.

Das Programm in der Nadelfabrik: Dokufilm „Der unbekannte Soldat – Was hast du im Krieg gemacht, Vater?“ (8. März, 18 Uhr); Spielfilm „Rosen für den Staatsanwalt“ (15. März, 18 Uhr). Außerdem gibt es eine öffentliche Probe im Theater K, Vorträge in der VHS und einen Rundgang durch Aachen.

Zum Abschluss am 28. März, 17 Uhr, berichtet Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, im städtischen Verwaltungsgebäude Mozartstraße 2-10 von seinen persönlichen Erfahrungen. Zuvor wird eine weitere Gedenktafel der „Wege gegen das Vergessen“ gegenüber vom Verwaltungsgebäude angebracht. OB Marcel Philipp eröffnet die Abschlussveranstaltung.

Öffentliche Führungen finden statt am 15. März, 18 Uhr, am 17. März, 14 Uhr, und am 22. März, 17 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos, ebenso wie Führungen für Schulklassen. Kostenpflichtige Führungen können unter vhs.wege@mail.aachen.de gebucht werden. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.stiftung-denkmal.de oder bei der VHS Aachen, ☏ 0241/4792127.

Ein Gedanke zu „In den Mühlen der NS-Justiz

  1. Recht ist, wie sich hier wieder einmal zeigt, temporär. Die Helden von damals sind die Verbrecher von heute, die Verbrecher von damals sind die Helden von heute, Bsp. von Staufenberg.

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