Do, 27. Feb. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2
Syrien: USA erwägen Einsatz von Cyberwaffen
Barack Obamas Experten diskutieren hinter verschlossenen Türen über die Erfolgschancen einer Attacke
Von Thomas Spang
Washington. Das Bombardieren der Kommandozentren des syrischen Regimes ließe sich nicht verstecken. Ohne jeden Zweifel als militärische Einmischung der Supermacht würde auch die Zerstörung von Radaranlagen oder Raketenwerfern gewertet. Was aber passierte, wenn die Supermacht ihre für viele Milliarden Dollar entwickelten Cyber-Kapazitäten nutzte, um die syrische Luftwaffe daran zu hindern, die Zivilbevölkerung anzugreifen? Dies müsste nicht einmal offen geschehen, sondern könnte wie im Fall der Stuxnet-Attacke auf das iranische Atomprogramm als verdeckte Operation angelegt sein.
Diese und andere Fragen werden angesichts der prekären humanitären Lage in dem Bürgerkriegsland zurzeit im Nationalen Sicherheitsrat (NSC) des Präsidenten mit neuem Nachdruck abgewogen.
NSC-Sprecherin Caitlin Hayden lehnt es ab, auf die internen Diskussionen einzugehen, bestreitet aber nicht, dass die Regierung ernsthaft darüber nachdenkt. „Wir haben eine Bandbreite an Instrumenten zur Verfügung unsere nationale Sicherheit zu schützen, einschließlich Cyberwaffen“, bestätigt Hyden gegenüber der „New York Times“. „Der Präsident hat eine Richtlinie unterschrieben, die Prinzipen und Verfahren festlegt, wie unsere Cyberwerkzeuge voll integriert werden.“
Das Thema ist brisant. Experten vergleichen den Einsatz von Cyberwaffen mit dem erstmaligen Gebrauch von Flugzeugen für militärische Zwecke im Ersten Weltkrieg. Mangels Erfahrung lassen sich die Konsequenzen nur schwer abschätzen. Der über die vergangenen acht Jahre für die Entwicklung der Cyberkapazitäten zuständige NSA-Chef Keith Alexander sagte kürzlich in einem Interview, die neuen Waffen seien vielleicht fünf Mal eingesetzt worden.
Während einige Sicherheitspolitiker argumentieren, die Kriegsführung durch eine Armee an Hackern habe im Vergleich zum Einsatz konventioneller Waffen einen weniger eskalierenden Charakter, kann dies bei dem Ziel der Angriffe ganz anders wahrgenommen werden. Wenn in Syrien sprichwörtlich die Lichter ausgehen und die Flugleitsysteme nicht mehr funktionieren, ist offensichtlich, was vor sich geht. Genau das ist Teil der Diskussionen innerhalb des Weißen Hauses, das im Frühjahr 2011 schon einmal über einen Plan beraten hatte, den Pentagon- und NSA-Strategen für eine Intervention in dem Bürgerkriegsland erarbeiteten.
Präsident Obama hat sich anders als offenkundig im Fall der Stuxnet-Attacke auf Iran bisher nicht dazu durchringen können, „grünes Licht“ für den Gebrauch des Cyberarsenals in Syrien zu geben. Die Bedenken haben dem Vernehmen nach mit der Sorge zu tun, ein Fehlschlag oder eine zu begrenzte oder eine zu wenig zielgerichtete Kampagne könnte die Situation für die Zivilbevölkerung nur verschlimmern.
Kaum Potenzial für Vergeltung
Hinzu kommt das Potential für Vergeltung, das den Amerikanern mit Blick auf die syrischen Kapazitäten nicht wirklich Sorge bereitet. Sehr viel ernster wird es, wenn dies Russland oder Iran dazu bewegte, Damaskus zur Seite zu springen. Die vermutlich vom iranischen Geheimdienst betriebene „Syrian Electronic Army“ wies im vergangenen Jahr mit Angriffen auf „New York Times“ und andere Medienseiten nach, dass auch sie ein paar Instrumente im Werkzeugkasten der Cyberkriegsführung hat.