Sa, 4. Jan. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4
In Nahost naht die Stunde der Wahrheit
US-Außenministerr Kerry erhöht den Druck auf beide Seiten. Eckpunkte einer Friedensregelung.
Von Jan-Uwe Ronneburger
Jerusalem/Ramallah. US-Außenminister John Kerry treibt Israelis und Palästinenser bei seinen Bemühungen um einen Nahost-Frieden langsam aber sicher in Richtung einer Entscheidung. Kaum war er zu seiner zehnten Vermittlungsmission in weniger als einem Jahr in Jerusalem angekommen, erhöhte er den Druck auf beide Seiten. In den kommenden Wochen hätten Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schwere Entscheidungen zu treffen, sagte Kerry.
Der Druck auf Netanjahu und Abbas ist enorm. Von ihnen hänge es ab, ob ein historischer Durchbruch Richtung Frieden möglich werde oder aber ein Scheitern mit einer gefährlichen explosiven Lage der Region drohe, kommentiert die liberale israelische Zeitung „Haaretz“. Kerry will beide Seiten zunächst auf die Eckpunkte einer künftigen Friedensregelung festlegen. Dann könnten die Details auch nach Ende April besprochen werden, wenn die ursprünglich vereinbarte Neun-Monats-Frist für die Gespräche abläuft.
Die Rahmenvereinbarung müs- se Leitlinien für die Lösung aller grundsätzlichen Streitpunkte zwischen beiden Parteien enthalten: Grenzen, Sicherheit, Flüchtlinge, Jerusalem, gegenseitige Anerkennung und ein Ende des Konflikts sowie aller gegenseitigen Ansprüche. Davor liege noch viel Arbeit, sagte Kerry. „Aber die Einigung auf einen Verhandlungsrahmen wäre ein bedeutsamer Durchbruch.“
„Ausschlag und Migräne“
Netanjahu und Abbas haben gute Gründe, sich zu fürchten. „Sie bekommen Ausschlag und Migräne, wenn sie an den Inhalt von Kerrys Rahmenabkommen und die Entscheidungen, die ihnen dafür abverlangt werden, denken“, schreibt „Haaretz“. Es ist völlig unklar, ob beide Politiker überhaupt in der Lage wären, die schmerzlichen Kompromisse im jeweils eigenen Lager durchzusetzen.
Netanjahus siedlerfreundliche Koalition dürfte die Räumung Dutzender Siedlungen kaum überstehen. Und die Aufgabe Ost-Jerusalems, das die Palästinenser als ihre Hauptstadt fordern, stößt in Israel auf weitverbreitete Ablehnung. Dort liegt die Klagemauer, einer der heiligsten Orte für Juden. Und Abbas würde zu große Nachgiebigkeit schnell als lebensgefährlicher „Verrat“ an der palästinensischen Sache angelastet. Ganz zu schweigen von radikalen Palästinensern, die jeder Friedensregelung mit Terroranschlägen gegen Israelis ein jähes Ende bereiten könnten.
Im Februar werden sich voraussichtlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister David Cameron direkt in die Friedensbemühungen einschalten. Nach dem Motto Zuckerbrot und Peitsche hat die EU Israel und Palästinensern für den Fall eines Friedensschlusses großzügige Hilfen und besonders enge Beziehungen in Aussicht gestellt.
Bei einem Scheitern aber werde die EU die Hilfen für die palästinensische Autonomiebehörde von Abbas eventuell sogar einstellen. Das wäre das Ende der Selbstverwaltung und von Abbas. Israel wäre dann nicht nur mit der zornigen Verzweiflung der Palästinenser konfrontiert, sondern auch mit den Kosten der Verwaltung der besetzten Gebiete.