Gauck rechnet scharf mit Erdogan ab

Di, 29. Apr. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Gauck rechnet scharf mit Erdogan ab

Ungewöhnlich deutliche Worte des Bundespräsident beim Türkei-Besuch. Er sieht eine „Gefährdung der Demokratie“.

Ankara. Mit ungewöhnlich scharfen Worten hat Bundespräsident Joachim Gauck die türkische Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kritisiert. Vor Studenten der Technischen Universität in der Hauptstadt Ankara sprach Gauck gestern von einer „Gefährdung der Demokratie“. Er beobachte mit Sorge Tendenzen, den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung zu beschränken. „Ich gestehe: Diese Entwicklung erschreckt mich – auch und besonders, wenn Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden.“

Erdogan steht seit bald einem Jahr international in der Kritik. Die landesweiten Gezi-Proteste, die vor rund elf Monaten begannen, ließ er mit massiver Polizeigewalt niederschlagen. Auf Korruptionsermittlungen reagierte er mit der Versetzung zahlreicher Polizisten und Staatsanwälte. Mit der AKP-Mehrheit im Parlament wurden Gesetze zur schärferen Kon­trolle des Internets und zur Ausweitung der Befugnisse des Geheimdienstes MIT verabschiedet.

Gauck sagte weiter: „So frage ich mich heute und hier, ob die Unabhängigkeit der Justiz noch gesichert ist, wenn die Regierung unliebsame Staatsanwälte und Polizisten in großer Zahl versetzt und sie so daran hindert, Missstände ohne Ansehen der Person aufzudecken.“ Ebenso sei zu kritisieren, wenn eine Regierung Urteile in ihrem Sinn beeinflussen will.

„Als Demokrat werde ich dann meine Stimme erheben, wenn ich den Rechtsstaat in Gefahr sehe – auch wenn es nicht der Rechtsstaat des eigenen Landes ist“, sagte Gauck weiter. Diese Bemerkung solle als Rat verstanden werden, so wie Deutschland bereit sei, Rat und Kritik aus anderen Ländern anzunehmen, wenn es etwa um die Aufklärung der Morde der NSU-Terrorzelle gehe, der vor allem türkischstämmige Menschen zum Opfer fielen.

Gauck würdigte aber auch den rasanten Wirtschaftsaufschwung und demokratische Errungenschaften der Türkei, etwa die Tatsache, dass der Einfluss des Militärs zurückgedrängt wurde, der Dialog mit den Kurden geführt werde oder Erdogan den Armeniern sein Mitgefühl für erlittene Verbrechen ausspreche. In letzter Zeit gebe es aber auch „Stimmen der Enttäuschung, der Erbitterung und Empörung über einen Führungsstil, der vielen als Gefährdung für die Demokratie erscheint“. Als Beispiele nannte Gauck Vorschriften für die Bürger, wie sie zu leben hätten, verstärkte Kontrollen der Geheimdienste und die gewaltsame Niederschlagung von Protesten auf der Straße. Der Zugang zum Internet und zu sozialen Netzwerken sei beschnitten worden, kritische Journalisten würden entlassen, Zeitungen mit Veröffentlichungsverboten belegt.

„Meine gesamte Lebenserfahrung hat mich zudem gelehrt: Wo die freie Meinungsäußerung eingeschränkt wird, wo Bürger nicht oder nicht ausreichend informiert, nicht gefragt und nicht beteiligt werden, wachsen Unmut, Unerbittlichkeit und letztlich auch die Bereitschaft zur Gewalt.“

Zum offiziellen Auftakt seines Staatsbesuchs in der Türkei war Gauck zuvor in Ankara von Staatschef Abdullah Gül mit militärischen Ehren begrüßt worden. Nach einem Gespräch der beiden Präsidenten traf Gauck mit Erdogan zu einem Mittagessen zusammen.

Am Morgen hatte Gauck am Mausoleum des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk einen Kranz niedergelegt. (dpa)

„Diese Entwicklung erschreckt mich – auch und besonders, wenn Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden.“

Bundespräsident Joachim Gauck

Union geht auf Distanz zur Türkei

Mi, 2. Apr. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Union geht auf Distanz zur Türkei

CDU-Generalsekretär Tauber: keine Vollmitgliedschaft in der EU

Berlin. Als Reaktion auf die Drohgebärden des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen die Opposition verschärfen CDU und CSU den Ton gegenüber der Türkei. Erdogans „Entgleisungen“ zeigten „einmal mehr, wie wenig er von Freiheit und Pluralität hält“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber gestern „Spiegel Online“. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU werde es nicht geben. Ähnlich äußerten sich andere Unionspolitiker.

Erdogans islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hatte bei den Kommunalwahlen am Wochenende landesweit 45 Prozent der Stimmen geholt – ungeachtet eines massiven Korruptionsskandals und Protesten gegen seinen zunehmend autoritären Regierungsstil. Nach seinem Wahlsieg drohte der Regierungschef unverhohlen den politischen Gegnern: Diese würden für Anschuldigungen und Kritik der vergangenen Monate „den Preis bezahlen“ müssen.

Tauber kritisierte Erdogans Äußerungen als „völlig inakzeptabel“. Wer Werte wie Freiheit und Pluralität bekämpfe, habe „in Europa nichts zu suchen“.

Auch der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, sah Anlass zur Sorge. In der „Berliner Zeitung“ bezeichnete er das Verhältnis zum Nato-Partner Türkei als „schwierig“. Einerseits werde die Türkei als „wichtiger Verbündeter“ benötigt; andererseits könne die Entwicklung im Land nicht gleichgültig betrachtet werden. Eine Reihe von Unionspolitikern sah sich in ihrer Ablehnung einer EU-Mitgliedschaft für das Land bestätigt. (afp)

Erdogan: „Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen.“

Di, 1. Apr. 2014
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Erdogan: „Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen.“

Nach dem Erfolg der AKP bei den türkischen Kommunalwahlen droht der Regierungschef seinen politischen Gegnern

Ankara. Nach dem klaren Sieg bei den Kommunalwahlen hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinen politischen Widersachern mit martialischen Worten gedroht. „Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen. Sie werden den Preis bezahlen“, sagte Erdogan in der Nacht zum Montag vor jubelnden Anhängern in Ankara mit Blick auf die Gegner im eigenen konservativ religiösen Lager. Seit Ende vergangenen Jahres liefert sich Erdogan einen heftigen Machtkampf mit Anhängern der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen.

Trotz Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung, Säuberungen in Justiz und Polizei und Internetsperren kam Erdogans Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) bei der Wahl am Sonntag nach Auszählung fast aller Stimmen landesweit auf mehr als 45,5 Prozent. Das sind gut sechs Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren.

Erdogans islamisch-konservative AKP behauptete auch die symbolträchtigen Bürgermeisterämter in den größten Städten Istanbul und Ankara, in denen starke Herausforderer aus den Reihen der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) angetreten waren. Zudem erklärte sich die AKP zum Sieger in der bisher von einem CHP-Bürgermeister regierten Touristenhochburg Antalya. Die CHP kam landesweit nur auf knapp 28 Prozent der Stimmen. In den überwiegend von Kurden bewohnten Städten im Osten der Türkei wurde erneut die Kurdenpartei BDP stärkste Kraft.

Nach Monaten politischer Auseinandersetzung und den Demonstrationen der Gezi-Bewegung im vergangenen Jahr hatte Erdogan die Wahlen in Städten und Gemeinden zur Vertrauensfrage erklärt. Er versprach den Wählern wirtschaftliche Stabilität und appellierte stark an den Patriotismus der Türken.

Erdogan wertete das Ergebnis in der Nacht als „großen Sieg“ und „Kampf für die Freiheit der neuen Türkei“. „Das ist der Hochzeitstag für die neue Türkei“, sagte Erdogan. Seinen Widersachern hat er in den vergangenen Monaten immer wieder gedroht. Tausende Polizisten und Staatsanwälte wurden zwangsversetzt, während Erdogan immer wieder von Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung sprach. Aktivisten der Opposition beklagten dagegen nach den Wahlen Manipulationen und Wahlbetrug.

Erdogans Gegner haben das Internet in den vergangenen Monaten verstärkt für Enthüllungen und die Veröffentlichung abgehörter Gespräche genutzt. Der Regierungschef sperrte darauf den Kurznachrichtendienst Twitter und die Videoplattform Youtube.

Die Kommunalwahlen waren ein Stimmungstest für Erdogan, der sich im August nach mehr als zehn Jahren an der Regierungsspitze zum Präsidenten wählen lassen will. In der Türkei wird aber auch spekuliert, Erdogan könne mit vorgezogenen Parlamentswahlen seine Macht zementieren. Bei der Parlamentswahl im Juni 2011 hatte die AKP fast 50 Prozent der Stimmen erhalten. Bei den Kommunalwahlen 2009 waren es landesweit knapp 39 Prozent gewesen. (dpa)

„Bis in ihre Höhlen werden wir sie verfolgen. Sie werden den Preis bezahlen.“

Recep Tayyip Erdogan, türkischer Ministerpräsident, zu seinen politischen Gegnern