NS-Medizin und die Ethik der Forschung

Mi, 5. Jun. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Bildung / Seite 12

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NS-Medizin und die Ethik der Forschung

Eine internationale Konferenz in Aachen fragt danach, wie die Taten aufgearbeitet wurden in Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit

Von Axel Borrenkott

Aachen. Wie hat die Ärzteschaft, wie hat die Wissenschaft das verwerfliche und verbrecherische Handeln von Medizinern in der Nazizeit aufgearbeitet? In welcher Form hat sich die Literatur, haben sich andere Künste mit den Vorgängen befasst? Wie haben diese Auseinandersetzungen die öffentliche Meinung beeinflusst? Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesen Diskursen für eine Ethik der Forschung ziehen, und was bestimmt überhaupt die öffentliche Diskussion um ethische Maßstäbe in Forschung und Wissenschaft? Weit mehr als Vergangenheitsbewältigung ist das Programm einer bemerkenswerten Tagung zum Ende der Woche an der RWTH.

„Wir erkennen die wesentliche Mitverantwortung von Ärzten an den Unrechtstaten der NS-Medizin an und betrachten das Geschehene als Mahnung für die Zukunft. Wir bekunden unser tiefstes Bedauern darüber, dass Ärzte sich entgegen ihrem Heilauftrag durch vielfache Menschenrechtsverletzung schuldig gemacht haben. Wir gedenken der noch lebenden und der bereits verstorbenen Opfer sowie ihrer Nachkommen und bitten sie um Verzeihung.“

Spätes Bekenntnis der Ärzteschaft

Klipp und klar bekannte sich der Deutsche Ärztetag auf seiner Tagung im Mai vergangenen Jahres in seiner „Nürnberger Erklärung“ zum Versagen eines großen Teils der Medizinerzunft im „Dritten Reich“. Bewusst war für diese Erklärung der Ort des Ärzteprozesses 1946/47 gewählt worden.

Ganze 20 Ärzte waren damals angeklagt. Die spätere Forschung hatte allerdings gezeigt, dass das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen „noch größer war, als im Prozess angenommen“. Mehr als 200 000 psychisch kranke und behinderte Menschen waren getötet, mehr als 360 000 als „erbkrank“ klassifizierte Menschen zwangssterilisiert worden. Auch das stellt die Erklärung fest.

Darüber hinaus räumt sie auch eindeutig mit zwei Annahmen auf, die jahrzehntelang die Verteidigungsstrategie sowohl von unmittelbar Beschuldigten wie auch der organisierten Ärzteschaft nach dem Krieg bestimmt hatten: „Im Gegensatz zu noch immer weit verbreiteten Annahmen ging die Initiative gerade für die gravierendsten Menschenrechtsverletzungen nicht von politischen Instanzen, sondern von den Ärzten selbst aus.“

Und: „Diese Verbrechen waren auch nicht die Taten einzelner Ärzte, sondern sie geschahen unter Mitbeteiligung führender Repräsentanten der verfassten Ärzteschaft sowie medizinischer Fachgesellschaften und ebenso unter maßgeblicher Beteiligung von herausragenden Vertretern der universitären Medizin sowie von biomedizinischen Fachgesellschaften.“

Ein eindrucksvolles, wenngleich recht spätes Bekenntnis. Vier Jahre zuvor hatte ein Forschungsprojekt an der RWTH begonnen, das Verhalten speziell der „Leitenden Aachener Klinikdirektoren im Dritten Reich“ aufzudecken. Auch dies ein überfälliges Bemühen, wissenschaftlich dingfest zu machen, was verstreut und zum Teil auch namentlich schon länger bekannt war.

Eine neue Erkenntnis war jedenfalls die Dimension: Aachen war ein regelrechter Hort für Nazi-Mediziner und keiner wurde je zur Rechenschaft gezogen. Das Forschungsprojekt mündete bislang, neben mehreren Aufsätzen, in zwei sehr aufschlussreiche Dissertationen, die anhand von Einzelbiografien das Verhalten der Ärzte vor und nach der Nazizeit dokumentieren und einiges Aufsehen in der Öffentlichkeit erregten.

Entstanden sind die Arbeiten am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Dessen Direktor, Dominik Groß, ist auch einer der beiden Verantwortlichen für die internationale Konferenz „NS-Medizin und Öffentlichkeit“. Der andere ist Stephan Braese vom Institut für Germanistische und Allgemeine Literaturwissenschaft.

Das beachtliche interdisziplinäre Vortragsspektrum an diesem Freitag und Samstag deckt zahlreiche Aspekte ab, die im Untertitel der Veranstaltung formuliert sind: „Formen der Aufarbeitung nach 1945 als Erneuerung einer Ethik der Forschung“.

Die Themen reichen von „Der Nürnberger Ärzteprozess in ‚Spiegel‘ und ‚Die Zeit‘“ über eine Betrachtung der Ärztefiguren etwa in Rolf Hochhuts Drama „Der Stellvertreter“ (1963) oder in „Die Ermittlung“ (1965), dem Drama von Peter Weiss um den Auschwitz-Prozess, bis zu Josef Mengele, dessen Menschenversuche in Auschwitz Peter Schneider in seinem Roman „Vati“ (1987) in einer Vater-Sohn-Problematik thematisiert.

„Das Symposium“, heißt es in der Begründung, „fragt nach der Bedeutung, die heute – 68 Jahre nach Ende des NS-Regimes – den Verbrechen von NS-Medizinern in der öffentlichen Diskussion über Ethik in Forschung und Wissenschaft zukommt.“ Vor allem verspreche man sich davon „neue Aufschlüsse über jene Dynamiken, die auch die aktuelle Diskussion um Ethik in Forschung und Wissenschaft bestimmen“. Und da, sagen Groß und Braese, habe die Forschung noch einiges aufzuholen.

"Er war ein Mörder. Er war ein Killer"

„Er war ein Mörder. Er war ein Killer“, Nachrichten-Artikel vom 23.05.2013 15:04

Was tat Hans Lipschis in Auschwitz? Der SS-Wachmann behauptet, er sei nur Koch gewesen. Berichte eines Zeitzeugen aus dem Jahr 1989 zeichnen ein anderes Bild: Lipschis habe in Auschwitz gemordet.

Den Artikel können Sie hier lesen:

http://www.welt.de/politik/deutschland/article116450186/Er-war-ein-Moerder-Er-war-ein-Killer.html

REPORT: Todes-Folter im Namen der Majestät

FOCUS Online, 21.01.2013, 00:00

REPORT: Todes-Folter im Namen der Majestät

FOCUS beweist, wie Briten nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Gefangene quälten – DER LETZTE ÜBERLEBENDE eines Verhörlagers erinnert sich

Den vollständigen Artikel erreichen Sie unter der URL http://www.focus.de/politik/ausland/tid-29413/report-todes-folter-im-namen-der-majestaet_aid_901637.html

Kommentar: Wer glaubt, das Folter und Mord eine Vorliebe von Diktaturen wie der NS Herrschaft ist, der wird hier eines besseren belehrt. Der Krieg war vorbei, Deutschland hatte kapituliert, es gab keinen Widerstand mehr. Dennoch Folter und Mord von Seiten der Sieger. Und nicht nur die Briten handelten nach 1945 in dieser Form, die USA waren keinen Deut besser, siehe Malmedy Prozess, auch nicht gegenüber den “befreiten” Juden.

Von daher blieb den der Shoa entkommenen Juden nur ein Weg, der Weg zur Gründung Israels, die Gründung eines jüdischen Staates.

Ausstellung erinnert an die Machtergreifung vor 80 Jahren

 

Do, 24. Jan. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 21

Ausstellung erinnert an die Machtergreifung vor 80 Jahren

Die Volkshochschule zeigt, wie die Nationalsozialisten auch in Aachen Fuß fassten. Eröffnung am 28. Januar mit Vortrag.

Von Georg Dünnwald
und Kristina Roeder

Aachen. „Göring, Ehrenbürger von Aachen“, so steht es in fetten Fraktur-Lettern auf dem Zeitungstitel. Die Schlagzeile stammt aus dem Jahr 1933 und dokumentiert, wie schnell die Nationalsozialisten in Aachen Fuß fassten.

80 Jahre nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 richtet die Volkshochschule Aachen (VHS) eine Ausstellung aus, die zeigen soll, wie sich auch in Aachen der Nationalsozialismus breitmachte und aus einer einst erz­katholischen Stadt eine Kommune von vielen überzeugten Nazis machte. Eine Stadt, in der Willkür herrschte, Juden verfolgt und ermordet wurden, in der auch Sinti und Roma und Angehörige anderer Minderheiten ausgegrenzt, gefoltert und getötet wurden. Dabei sah ein Großteil der Bevölkerung gleichgültig, applaudierend oder manchmal auch ängstlich zu.

Damit diese Zeit nie vergessen wird, haben die beiden Volkshochschulreferentinnen Carmelita Lindemann und Yvonne Hugot-Zgodda viel Material aus VHS-Beständen oder von Privatpersonen gesichtet, bewertet und zusammengestellt und auf 18 Schau­tafeln, herausgestellt. Die Ausstellung konzentriert sich dabei vor allem auf das Jahr 1933, nur eine befasst sich mit der Zeit davor, als hohe Arbeitslosigkeit viele Menschen verzweifeln ließ. Eine weitere Stellwand befasst sich mit der zerbombten Stadt, die am 21. Oktober 1944 von den US-Truppen erobert wurde.

„Was genau spielte sich in Aachen und dem Rheinland zu dieser Zeit ab? Warum war Aachen zunächst keine Hochburg der Nationalsozialisten, und wie haben diese hier die Machtergreifung umgesetzt?“ Das sind die Leitfragen der Ausstellung, mit denen sich Carmelita Lindemann und Yvonne Hugot-Zgodda beschäftigt haben. Ihr Ziel ist es, das Jahr 2013 zu nutzen, um das Thema des Nationalsozialismus zu vertiefen und an die Öffentlichkeit zu bringen. „Das Thema soll nicht in Vergessenheit geraten.“ Denn, so die VHS-Mitarbeiterin im Bereich Politische Bildung: „Kürzlich sagte mir einer ‚Mir reicht es, ich will über diese Nazizeit nichts mehr hören‘. Deshalb ist die Ausstellung sowohl für alle erwachsenen Aachener, als auch Schulklassen wichtig.“ Schulen können die Ausstellung sogar ausleihen. „Sie kann praktisch in einem Pkw transportiert werden, weil alle Tafeln faltbar sind“, erklärt Carmelita Lindemann.

Zwei Wochen lang ist die Ausstellung in der VHS zu betrachten, danach können Schulen sie kostenlos ausleihen. Zur Eröffnung am Montag, 28. Januar, um 19 Uhr gibt es einen Vortrag eines Referenten des Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) in der Volkshochschule, Peterstraße 21-25.

Der "Ruhrkampf" ruinierte das deutsche Bürgertum

Der „Ruhrkampf“ ruinierte das deutsche Bürgertum, Nachrichten-Artikel vom 11.01.2013 12:53

Mit dem Hinweis auf schleppende Reparationszahlungen Deutschlands besetzten Frankreich und Belgien im „Krieg nach dem Krieg“ 1923 das Ruhrgebiet. Dessen Bevölkerung reagierte mit passivem Widerstand.

Den Artikel können Sie hier lesen:

http://www.welt.de/geschichte/article112698605/Der-Ruhrkampf-ruinierte-das-deutsche-Buergertum.html

Kommentar: Siehe Separatisten führten in Aachen den „Ruhrkampf“ weiter auf dieser Seite

Separatisten führten in Aachen den „Ruhrkampf“ weiter

 

Fr, 11. Jan. 2013
Aachener Nachrichten – Stadt / Region und NRW / Seite 10

Separatisten führten in Aachen den „Ruhrkampf“ weiter

Heute vor 90 Jahren: 100 000 französisch-belgische Soldaten besetzen Rheinland und Ruhrgebiet. Belgier haben das Sagen.

Von Alexander Barth

Aachen. Als belgische und französische Truppen am 11. Januar 1923 mit der Besetzung von Rheinland und Ruhrgebiet begannen, hatten die Menschen in der Aachener Region bereits Zeit gehabt, sich an die Anwesenheit fremder Soldaten zu gewöhnen. Seit Januar 1919 waren vor allem belgische Einheiten präsent, als Folge der neuen Kräfteverhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg. „Der neuerliche, massive Einmarsch bedeutete eine Verschärfung der Situation, die bereits seit 1919 bestand“, berichtet Matthias Pape, Historiker und Dozent an der RWTH Aachen.

Insgesamt rund 100 000 Soldaten zählte die Truppe, die für die Durchsetzung des Versailler Vertrages sorgen sollte. Die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg und mit ihr die fälligen Reparationen sorgten dafür, dass unablässig Kohlezüge aus dem Aachener Revier hinüber nach Belgien rollten. Dazu verlangte das Königreich einen großen Teil der Vennwälder sowie die dort verlaufenden Schienenstränge der Vennbahn, die Eupen mit Stolberg verband – damals ein wichtiger wie wertvoller Verkehrsweg. Doch die junge Republik war mit den ihr auferlegten Reparationszahlungen in Verzug geraten.

Hauptquartier im Quellenhof

Es folgte der Einmarsch – und als Reaktion darauf der „Ruhrkampf“, der in Sabotageakten und teils subtilen Widerstandsaktionen gipfelte. Während Postzensur und eine zusehends irrwitzige Geldinflation herrschten, rief die Reichsregierung die Bürger zum passiven Widerstand auf. „Auch die Aachener Region geriet in den Strudel der Ereignisse“, berichtet Pape. Das Hauptquartier der belgischen Zone lag in Aachen, Oberbefehlshaber Charles Magnin „residierte“ im Hotel Quellenhof an der Monheimsallee. Durch Stationierung einer internationalen Truppe – rekrutiert aus Soldaten der französischen Kolonien – sollte den Deutschen auch das Ausmaß ihrer Niederlage drastisch vor Augen geführt werden, erklärt Pape. In Stolberg und Eschweiler lagen damals insgesamt drei Bataillone von algerischen Soldaten.

Die verstärkte Präsenz von Besatzungstruppen an Rhein und Ruhr nach dem 11. Januar und der wachsende Unmut der Bevölkerung befeuerten aber auch das Bestreben nach einem unabhängigen Rheinland. Am 21. Oktober erreichte die Idee ihren Höhepunkt – in Aachen: Unter Führung des Aachener Kaufmanns Leo Deckers besetzten Separatisten wichtige Institutionen wie Regierungsgebäude, Post und Banken, am 2. November schließlich das Rathaus. Dort wurde die rheinische Republik ausgerufen, der es aber nicht zuletzt an Rückhalt aus der Bevölkerung mangelte und die so bereits nach wenigen Tagen schon wieder Geschichte war. „Bis dahin hat es Plünderungen, Hungerkrawalle, Streiks und Ausschreitungen gegeben“, sagt Pape. Nicht nur die Separatistenbewegung wurde noch 1923 niedergeschlagen, auch der Ruhrkampf endete, im Sommer 1925 verließen die letzten Soldaten das Ruhrgebiet. Am 30. Juni 1930 zogen alle Besatzungstruppen, fünf Jahre früher als ursprünglich in Versailles vereinbart, aus dem Rheinland ab.

Kommentar: Wer nach den Ursachen der Machtergreifung Hitlers fragt: Hier ist neben dem Versailler Diktat ein wesentlicher Punkt. Frankreichs bestreben, unterstützt von Belgien, Deutschland zu zerschlagen, um alleine Hegemonialmacht in Europa zu sein, hat bis mindestens 1990 gedauert. Nicht vergessen ist der Widerstand Frankreichs gegen die deutsche Wiedervereinigung 1990!

Hunderte von antisemitischen Straftaten

 

Mo, 12. Nov. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 25

Hunderte von antisemitischen Straftaten

Allein im ersten Halbjahr 2012 und auch in Aachen verübt. Mahnwache vor der Synagoge zum Gedenken an die Pogromnacht 1938.

Von Werner Czempas

Aachen. „In Buchenwald, in Buchenwald, da machen wir die Juden kalt.” Solch unfassbar widerwärtiger Ekeldreck ist heute auf deutschen Straßen zu hören. An Abscheulichkeiten dieser Art wurde erinnert bei der alljährlichen Mahnwache vor der Aachener Synagoge zum Gedenken an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938.

Als in Deutschland vor 74 Jahren die jüdischen Gotteshäuser brannten, ging auch die Aachener Synagoge in Flammen auf. Der antisemitische Mob raste, legte, während Polizei und Feuerwehr tatenlos zuschauten, an der Synagoge mehrere Brandherde, zog zur Großkölnstraße und zerstörte dort die Geschäfte jüdischer Besitzer. 268 jüdische Aachener wurden verhaftet, in das Zwischenlager am Grünen Weg und von dort in die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen deportiert.

Zur Erinnerung an die immerwährende Schande des 9. November 1938, mit der der Völkermord an Millionen Menschen in ganz Europa begann, wurde auch in diesem Jahr unter dem Motto „Aus der Geschichte lernen – Für eine Zukunft frei von Nationalismus, Rassismus, Faschismus und Krieg” wieder von der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) eingeladen zur „Mahnwache an diesem denkwürdigen Platz”, so Moderatorin Alexandra Simon-Tönges. Rund 80 Personen waren zum Synagogenplatz an der Promenadenstraße zur wiederum beeindruckenden Stunde gekommen, unter ihnen etliche Politiker des sozialdemokratischen und linken Spektrums und auch DGB-Chef Ralf Woelk.

„Wir erinnern heute dieser Reichspogromnacht von 1938 auch mit dem Blick auf die Gegenwart”, sagte Simon-Tönges. „Der Rechtsextremismus in Deutschland fordert uns täglich heraus. Wir müssen wachsam sein und streitbar bleiben gegenüber allen Formen von Rassismus und Antisemitismus.” Alle seien „gefragt zu handeln” und den Verursachern von alltäglichem Rassismus und Antisemitismus „besonnen und entschlossen” entgegenzutreten.

Wie erforderlich das ist, zeigt eine lange Liste „fast alltäglicher” antisemitischer Aggressionen und Gewaltdelikte aus den vergangenen beiden Jahren. Aus deren Chronik zählten Birgit Valder und Tochter Lara eine Fülle erschreckender Beispiele auch aus Aachen auf. Allein 436 antisemitische Straftaten gab es im ersten Halbjahr 2012, davon 403 aus dem rechtsextremen Milieu verübt. Birgit Valder mahnte: „Wir können Nazis zwar nicht ihre Gesinnung verbieten, aber zumindest ihr öffentliches Auftreten.”

Der junge Historiker Jens Lohmeier beschäftigte sich mit dem Komplex „Euthanasie und Holocaust – Zwei Seiten des nationalsozialistischen Rassenwahns”. In seinem bemerkenswerten Vortrag, der Eingang in den Schulunterricht finden sollte, belegte er die historischen Grundlagen und die Kontinuität eines seit dem vorvorigen Jahrhundert wachsenden rassistischen Antisemitismus’ auf der einen, basierend und genährt durch die sich verbreitende Auffassung und Lehre der Eugenik (Euthanasie) auf der anderen Seite.

Auch der Rabbiner von Aachen, Max Mordechai Bohrer, war gekommen. Er sprach das Totengebet, mit dem so ergreifenden an- und abschwellenden Sprechgesang, zuerst in Hebräisch, dann ins Deutsche wechselnd mit den einleitend so poetisch-erhabenen Wort „Erbarmungsvoller, in den Höhen thronender Gott…”

Ergreifend auch die von Illya Kiuila auf der Geige gespielten Stücke, Klezmermusik aus der jüdischen Volksmusiktradition, mal traurig erinnernd an einen Todesmarsch, mal jubilierend, den Holocaust überlebt zu haben, auch ein heiteres Kinderlied darunter und am Ende das „Shalom”, das Friedenslied.

Organisatorische Gründe hatten es mit sich gebracht, dass die Mahnwache nicht traditionell am Abend des 9. November begangen werden konnte, sondern erst am Sonntag, dem „Elften im Elften” ab 11 Uhr. Zwei Steinwürfe weiter also schunkelten sich am Kugelbrunnen rund 800 Fastelovvendsjecke mit „So ein Tag, so wunderschön wie heute” in die Session.

Doch Jecke und Mahner kamen sich akustisch nicht ins Gehege, auch nicht während der Schweigeminute vor der Synagoge. Wiewohl der UWG-Ratsherr Horst Schnitzler dabei ins Grübeln geriet, wie die Narren vor 74 Jahren noch hätten Karneval feiern können, wo doch die Synagoge schon in Schutt und Asche lag…

„Wir können Nazis zwar nicht ihre Gesinnung verbieten, aber zumindest ihr öffentliches Auftreten.“

Birgit Valder,

Chronistin

Als jüdische Besitztümer zu Schnäppchen wurden

 

Do, 13. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokales / Seite 21

Als jüdische Besitztümer zu Schnäppchen wurden

Die Volkshochschule zeigt gemeinsam mit Professor Wolfgang Dreßen unter dem Titel „Aktion 3“ seltene Dokumente vom Raub jüdischen Eigentums im Dritten Reich. Filmvorführungen und Vorträge begleiten die Ausstellung.

Von Martina Stöhr

Aachen. Ein SA-Mann in Uniform, der vor der zerbrochenen Scheibe eines jüdischen Geschäfts steht –so stellen die meisten sich laut Professor Wolfgang Dreßen Plünderungen zur Zeit des Nationalsozialismus vor. Seine Ausstellung „Aktion 3 – Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn“ zeichnet ein anderes Bild. „Es war Teil der Normalität, dass Deutsche das enteignete Mobiliar ihrer jüdischen Nachbarn aufkauften“, sagt Dreßen. „Die Ausstellung dokumentiert die massenhafte Beteiligung der deutschen, nicht-jüdischen Bevölkerung am ganz legalen Raub jüdischen Eigentums“, heißt es im Pressetext zu Ausstellung.

Unter dem Decknamen „Aktion 3“ habe es eine wahre Schnäppchenjagd nach jüdischen Besitztümern gegeben. Die Ausstellung liefert die entsprechenden Akten. Die stammen aus der Oberfinanzdirektion Köln und sind eigentlich noch immer gesperrt. Die Finanzämter sind laut Dreßen auch heute noch sehr zurückhaltend bei der Herausgabe solcher Dokumente. Sie zeigten, wie unter dem Mantel der vermeintlichen Rechtmäßigkeit jüdische Besitztümer beschlagnahmt, erfasst und schließlich neu verteilt wurden. „Es findet eine kollektive Verdrängung statt“, sagt Dreßen und hofft, mit seiner Ausstellung etwas in den Köpfen der Betrachter zu bewirken.

Und tatsächlich habe sich in den letzten Jahres einiges getan. Seit Beginn der Ausstellung 1998 seien bereits einige Bücher zu dem Thema erschienen. Außerdem entstanden zwei Filme: „Mariannes Heimkehr“ ist am Montag, 1. Oktober, um 19 Uhr in der VHS, Peterstraße 21-25, im Forum zu sehen. Der Eintritt kostet vier Euro. Der Film erzählt die Geschichte von Marianne Winter, die das Vernichtungslager der Nazis überlebt hat und um den Familienbesitz kämpft.

„Menschliches Versagen“ ist der Titel eines Dokumentarfilmes, der den Vorgang der Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung und schließlich Deportation der jüdischen Mitbürger zum Thema macht. Zu sehen ist er am Mittwoch, 24. Oktober, um 19 Uhr in der VHS, Peterstraße 21-25, Raum 214. Der Eintritt kostet ebenfalls vier Euro.

Die Ausstellung „Aktion 3 – Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn“ ist ab Donnerstag, 20. September, bis zum 31. Oktober im Forum der VHS zu sehen. Am 20. September hält Professor Wolfgang Dreßen um 20 Uhr einen Vortrag zum Thema. Dreßen war bis zu seiner Emeritierung 2008 Leiter der Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf.

„Es war Teil der Normalität, dass Deutsche das enteignete Mobiliar ihrer jüdischen Nachbarn aufkauften.“

Professor Wolfgang Dreßen, Ausstellungsleiter

Das rheinische Jerusalem im Schatten des Doms

 

Do, 6. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Die Seite Drei / Seite 3

Das rheinische Jerusalem im Schatten des Doms

In Köln wird ein jüdisches Viertel aus dem Mittelalter ausgegraben. Über der „Archäologischen Zone“ soll spätestens im Jahr 2016 ein Museum entstehen.

VON ALEXANDER STEIN

Köln. Lebendig soll sie werden, die lange Geschichte der Kölner Juden. Seit mindestens 1700 Jahren gibt es sie in der Stadt. Der älteste schriftliche Beweis ist ein Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahre 321, das den jüdischen Kölnern erlaubt, in die Curia, den römischen Stadtrat, berufen zu werden. Die Gemeinde muss also älter sein. Seit 2007 reißen Archäologen um den Projektleiter Dr. Sven Schütte das Kölner Pflaster vor dem Historischen Rathaus auf. Schon in den 1950er Jahren hatte der Archäologe Otto Doppelfeld an gleicher Stelle gegraben, allerdings mit Fokus auf die römischen Hinterlassenschaften.

„Spärliche Überreste“

So waren schon 1957 eine Mikwe, die Grundmauern einer Synagoge und diverse von Juden genutzte Häuser ergraben worden – bis auf das „Judenbad“ schüttete man jedoch alles wieder zu. „Die spärlichen Überreste der Synagoge“ hätten laut Doppelfeld einen zu „beklagenswerten Anblick“ geboten.

All das haben die Archäologen in den vergangenen fünf Jahren wieder freigelegt. Dabei sind sie zwischen den Grundmauern in Tiefen vorgedrungen, die abgeglichen mit den historischen Überlieferungen eine Menge verraten. „Schichttorte“ nennt Grabungsleiter Schütte die aufeinander liegenden Mauerteile aus den unterschiedlichen Epochen – Zeugnis mannigfacher Zerstörung und Wiedererrichtung.

Welche Gebäude indes eine jüdische Funktion hatten oder von Juden bewohnt wurden, lässt sich oft schwer erkennen. „Hätten wir die hebräischen Schriftzeichen nicht und die Tierknochenfunde, wir wüssten gar nicht, dass wir uns in jüdischer Geschichte bewegen“, erzählt Schütte. Aber gerade diese räumliche Nähe von Juden und Christen sei spannend.

So haben sie in Köln wohl ohne größere Schwierigkeiten zusammengelebt – bis hin ins 13. Jahrhundert. Die jetzt digital rekonstruierte Bima (Lesekanzel) der mittelalterlichen Synagoge ist nachweisbar von Handwerkern der Dombauhütte gefertigt worden – sie haben in der gotischen Lesekanzel ihre Kürzel hinterlassen. Auch wurde der gleiche Stein verwendet. Im Zuge des Pestpogroms 1349 ist die Synagoge dann aber bis auf ihre Grundmauern zerstört worden. Mit den Bruchstücken der einst kunstvoll verzierten Bima wurde der Keller verfüllt. Viele Juden töteten sich aus Furcht vor Zwangstaufen selbst, die anderen wurden ermordet. Grabsteine des jüdischen Friedhofs wurden alsbald für Bauten des Erzbischofs verwendet. Keine 25 Jahre später siedelten sich zwar wieder Juden in Köln an, schon 1424 aber hatten auf Beschluss des Kölner Rats alle jüdischen Familien die Stadt zu verlassen. Nach zweijährigem Umbau wurde aus der einstigen Synagoge die Ratskapelle „St. Maria in Jerusalem“, „geweiht am Feste Mariä Geburt“. Diese christliche Nutzung endete 1943 durch eine Fliegerbombe, womit auch die Geschichte dieser Grundmauern ihr vorläufiges Ende fand. Seit der Spätantike hatten alle an dieser Stelle errichteten Gebäude den gleichen Grundriss, jüngere Mauern wurden stets auf den Überresten der alten hochgezogen. Aber zu welcher Zeit wurde das Gebäude erstmals als Synagoge genutzt?

Das Rätsel um die Becken

Unstrittig hatte das Gemäuer diese Funktion schon im 8. Jahrhundert – belegt durch Schriften und ausgegrabene Teile wie Toraschrein, Sitzbänke und eben die Bima. Damit ist es schon jetzt die älteste bekannte Synagoge nördlich der Alpen. Rätsel geben jedoch verschiedene Becken auf. Insbesondere ein trapezförmig gemauerter Raum unter der Frauensynagoge beschäftigt die Experten aus Deutschland und Israel. Form und Zeichen von ehemals vorhandenem Wasser könnten laut Schütte auf eine weitere Mikwe hindeuten, das erwiesene hohe Alter des Beckens ließe ihm zufolge dann aber nur einen Schluss zu: Eine Kölner Synagoge existierte schon in der Antike. Andere Archäologen sind zurückhaltender mit dieser Interpretation.

Spätestens im Jahr 2016 soll über der Archäologischen Zone mitten in der Kölner Innenstadt ein Museum entstehen. Es gibt allerdings Gegner dieses Vorhabens, unter anderem im Stadtrat. Schütte aber betont die Chance: „Das wird kein Geschichtsghetto, wo man die Juden ins Museum stellt und dann ist man sie los – wir zeigen die Interaktion zum Rest der Welt und dass es jüdische Kölner von Anfang an gibt.“

Es wird weiter gegraben

Die Eröffnung des Museums würde aber nicht das Ende der Grabungen markieren. Während sich die Besucher auf einer Glasempore bewegen, soll darunter geforscht werden. So ist beispielsweise der Erdboden unter den Außenwänden des provisorischen Grabungszeltes noch nicht erschlossen. Dort vermuten die Archäologen weitere Teile des Toraschreins.

Kommentar: Judentum und Christentum haben Deutschland geprägt, gehören zum historisch gewachsenen Deutschland, sind ein Teil der deutschen Kulturgeschichte, der Islam nicht.

München 1972: „Es war ein Anschlag auf alle“

 

Do, 6. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

München 1972: „Es war ein Anschlag auf alle“

Gedenkfeier für Opfer des Olympia-Attentats. Charlotte Knobloch sieht jüdisches Leben weiter in Gefahr.

Fürstenfeldbruck/München. Vertreter aus Politik und Religion haben gestern an die Opfer des Münchner Olympia-Attentats von 1972 erinnert. Für die Juden in Deutschland sei das Geiseldrama vor 40 Jahren noch heute präsent und traumatisch, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, bei der Gedenkfeier im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Er bezweifle, dass die Welt viel aus dem Attentat gelernt habe. Der Terrorismus scheint eine „lässige Legitimität“ geworden zu sein.

Zu der Gedenkfeier waren Repräsentanten aus dem In- und Ausland angereist. Erstmals waren zu der Veranstaltung auch Angehörige der Opferfamilien sowie Überlebende zugleich eingeladen.

Graumann übte scharfe Kritik an den Behörden und Sportfunktionären von 1972. Auch heute sei er immer noch voller Trauer, Wut und Zorn über das Geschehen. Graumanns Vorgängerin Charlotte Knobloch sagte, das Attentat sei kein Anschlag auf Israel und die Juden gewesen: „Es war ein Anschlag auf alle. Auf die olympische Idee, die Vision von Freiheit und Frieden für alle Menschen.“ Knobloch sieht unterdessen durch die Beschneidungs-Debatte die jüdische Existenz in der Bundesrepublik infrage gestellt. „Ich frage mich ernsthaft, ob dieses Land uns noch haben will“, schrieb Knobloch in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Mittwoch. Es sei eine Situation, „wie wir sie seit 1945 hierzulande nicht erlebt haben.“ (afp)

 

Kommentar: Meine Position zu den Palästinensern ist geprägt von München 72 und Mogadischu 1977.