Die Pistole war die heiße Spur

 

Fr, 28. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Die Pistole war die heiße Spur

Noch eine Panne bei den Ermittlungen gegen das Neonazi-Terrortrio NSU: Nach der Tatwaffe wurde offensichtlich nicht konsequent genug gefahndet.

Von Christiane Jacke
und Stephan Scheuer

Berlin. Sie waren nah dran an der Tatwaffe der Neonazi-Morde. Schon 2004 gingen Beamte des Bundeskriminalamts einer heißen Spur in die Schweiz nach. Ein Waffenhändler hatte dort das seltene Modell verkauft, mit dem die Mitglieder der rechtsextremen Terrorzelle NSU später mutmaßlich neun türkische oder griechische Kleinunternehmer erschossen. Das Problem: Die Ermittler erkannten die Zusammenhänge nicht. Sie vermuteten Ausländer hinter den Verbrechen und stellten die falschen Fragen. Die heiße Spur verlor sich – eine weitere Panne in einer beispiellosen Serie von Fehlern.

Die Mordwaffe ist eine Ceska 83 mit Schalldämpfer, Kaliber 7.65 Millimeter. Die Waffe ist ein verbindendes Element zwischen den kaltblütigen Morden, die der Terrorzelle NSU zur Last gelegt werden. Neun der zehn Opfer der Mordserie zwischen 2000 und 2006 starben durch Schüsse aus dieser Pistole.

Eine eigene Ermittlergruppe des Bundeskriminalamts ging der Waffenspur ab 2004 nach. Bei ihren Recherchen stießen die Ermittler schon früh auf den Schweizer Waffenhändler. Werner Jung arbeitete damals in dem Ermittlerteam und bat Schweizer Verbindungsbeamte des BKA im Mai 2004, sich bei der Firma umzuhören.

In einem Fax führte der Polizist die Kollegen aber auf die falsche Fährte. Denn er forderte sie auf, sich explizit nach türkischen Käufern von Munition zu erkundigen. Es gebe Anhaltspunkte, dass es sich um Auftragsmorde handele und Drogengeschäfte dahinter steckten. (Kommentar: Welche ???) Jung muss sich nun wegen der Fehleinschätzung unangenehme Frage im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages gefallen lassen. Die Ermittlungshinweise seien damals eben in diese Richtung gegangen, begründet der BKA-Mann. Die Ermittler hätten türkische Brüder hinter den Verbrechen vermutet.

Auch an anderer Stelle ging einiges schief bei der Suche nach der Ceska: Die Ermittler entdeckten nicht nur den Händler, der die spätere Tatwaffe verkaufte – ohne dass die BKA-Leute es selbst merkten. Sie stießen auch auf den Mann, der die Pistole dort gekauft hatte, befragten ihn, ließen sich allerdings mit fadenscheinigen Ausreden abspeisen. Der Rentner aus der Schweiz behauptete damals, er habe die Waffe nie bekommen. „Da endete für mich der weitere Weg“, sagte Jung. Jahre später räumte der Mann ein, die Waffe gekauft zu haben. Wie genau die Pistole schließlich an das Terrortrio gelangte, ist allerdings noch unklar.

Unter den Ausschussmitgliedern herrschte Unverständnis über die Versäumnisse. „Es war eine heiße Spur bereits 2004“, sagt CDU-Obmann Binninger. „Das BKA hat sie kalt werden lassen.“ Die Ermittler hätten nach einer Schablone ermittelt.(dpa)

Kommentar: Herr, wirf Hirn vom Himmel, oder: Was nicht sein kann, das nicht sein darf?

Verfassungsschutz wusste schon 2008 mehr über die KAL

 

 

Fr, 21. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Verfassungsschutz wusste schon 2008 mehr über die KAL

Vertrauliche Akten weisen auf einen V-Mann hin. Führender KAL-Funktionär sorgte für Vernichtung von Akten und Tarnung.

Von Michael Klarmann

Aachen. Die am 23. August 2012 verbotene Neonazi-Bande „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) hat sich seit Ende 2008 auf ein Verbot vorbereitet und Unterlagen vernichtet, die den Ermittlern nicht in die Hände fallen sollten. Dessen ungeachtet baute die KAL weitere Strukturen auf – etwa im Raum Heinsberg. Zudem nahm „Kameradschaftsführer“ René Laube an einem bundesweiten Treffen von Neonazi-Kadern teil, zu dem auch zwei Personen kamen, die 2011 im Zuge der Ermittlungen zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) Schlagzeilen machten.

So nahmen am 27. Dezember 2008 im sächsischen Borna neben Laube an dem Treffen bundesweit wichtiger Kader aus der militanten Nazi-Szene auch die ostdeutschen Neonazis Thomas G. und André K. teil. Dies geht aus Papieren des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes hervor, die das Siegel strengster Vertraulichkeit („VS – Nur für den Dienstgebrauch“) tragen und unserer Zeitung vorliegen. G. und K. standen im Verdacht, die NSU-Mörderbande unterstützt zu haben.

Am 23. August 2012 sagte der Einsatzleiter für die Großrazzia gegen die KAL, Helmut Wälter, die Polizeiaktion sei über Wochen akribisch vorbereitet worden, und tatsächlich habe man im Morgengrauen „die Klientel“ überrascht. Der Leiter des Kommissariats „Rechts motivierte Kriminalität“ (Remok), Stephan Zenker, sagte, die erst seit Jahresbeginn bestehende Remok habe maßgeblich dazu beigetragen, der nach außen hin lose auftretenden Gruppe einen Quasi-Vereinsstatus nachweisen zu können. Nur so sei das Verbot möglich gewesen.

Geht man indes von den VS-Papieren aus, wusste der Landesverfassungsschutz schon seit mindestens 2008, dass die KAL organisiert war wie ein Verein. Zudem war klar, dass sich die Bande auf ihr Verbot vorbereitete. So gab Laube am 10. Januar 2009 nach einer ersten Welle von Verbotsforderungen auf der Jahreshauptversammlung der KAL im Hinterzimmer einer Gaststätte im Kreis Heinsberg das Kommando aus, Unterlagen wie Mitgliederlisten, Papiere über Beitragszahlungen oder solche über die Organisationsstrukturen zu vernichten. Überdies sollten Bezeichnungen in der Öffentlichkeit unterlassen werden, die Funktionen benennen. Seitdem trat Laube auch nicht mehr als „Kameradschaftsführer“ auf.

Gut vier Jahre vor dem Vollzug des KAL-Verbots war zumindest also dem Landesverfassungsschutz bekannt, dass die KAL vereinsmäßig organisiert war. Grund für diese Erkenntnis war mindestens ein V-Mann in der KAL. Durch ihn erfuhr die Behörde etwa, dass der Mitgliedsbeitrag 5 Euro betrug, der KAL-„Kassenwart“ Anfang 2009 rund 1000 Euro auf einem Girokonto zu verwalten hatte und inaktiven oder säumigen Mitgliedern der Rauswurf drohte.

Unklar ist, ob die KAL wusste, dass ein V-Mann in ihren Reihen war, der dem Landesamt regelmäßig Bericht erstattete. Auf dem Treffen im Januar 2009 diskutierten die rund 25 Neonazis jedenfalls über einen anderen Spitzel. Sie bemühten sich darum, ein „U-Boot“ zu finden, das Kontakt zu Medien unterhielt und Interna weitergab, die nicht für die Presse bestimmt waren.

Jäger: KAL-Verbot steht

 

Do, 20. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Titel Aachen / Seite 1

Jäger: KAL-Verbot steht

Aachener Neonazi-Gruppe zieht vor Gericht

Düsseldorf. NRW-Innenminister Ralf Jäger hält sein Verbot der neonazistischen Kameradschaft Aachener Land (KAL) trotz deren Klage vor dem Verwaltungsgericht Münster für gerichtsfest. „Ich bin davon überzeugt, dass das Verbot des rechtsextremistischen Vereins bestehen bleibt“, erklärte Jäger am Mittwoch gegenüber den „Nachrichten“. Die Sicherheitsbehörden hätten „eindeutig nachgewiesen, dass die Neonazis in Aachen die Menschen mit martialischem Auftreten und Gewalttaten eingeschüchtert haben“. Deshalb habe er die KAL verboten und ihre Strukturen zerschlagen, betonte der Innenminister. Die Landesregierung gehe „konsequent gegen Verfassungsfeinde“ vor. „Wir lassen nicht zu, dass diese geistigen Brandstifter sich mit menschenverachtenden Parolen und ihrer faschistischen Propaganda breit machen“, sagte Jäger.(jn)

Erste Flecken auf de Maizières weißer Weste

 

Fr, 14. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Blickpunkt / Seite 2

Erste Flecken auf de Maizières weißer Weste

Weitere Pannen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie. Kritik am Verteidigungsminister. „Es ist traurig.“

Von Christian Jacke

Berlin. Den Obleuten im Neonazi-Untersuchungsausschuss geht allmählich die Geduld aus. Erst vor zwei Tagen kam die böse Überraschung, dass ihnen monatelang eine wichtige Akte des Militärgeheimdienstes MAD vorenthalten wurde. Die Panne bringt den bisher souveränen Verteidigungsminister Thomas de Maizière weiter in Erklärungsnot. Nun folgt der nächste Aufreger: Im Land Berlin soll es bereits 2002 einen Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort der rechtsextremen Terrorzelle NSU gegeben haben. Doch davon erfuhren die Parlamentarier nichts. Den Aufklärungswillen bei Bund, Ländern und Behörden zweifeln sie inzwischen an.

Seit Jahresanfang arbeitet sich der Untersuchungsausschuss im Bundestag durch riesige Aktenmengen, um die Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle NSU aufzuarbeiten – und die Ermittlungsdebakel rund um die Mordserie. Zuletzt beschwerten sich Ausschussmitglieder darüber, dass Unterlagen nur zögerlich und erst kurz vor Zeugenvernehmungen geliefert werden. Mittlerweile sind viel größere Probleme aufgetaucht.

Es ist Donnerstag. Der Ausschuss tagt zum zweiten Mal nach der Sommerpause. Verspätet treten die Obleute vor die Presse und schauen wieder einmal grimmig in die Kameras. Gerade hätten sie von einer wichtigen Unterlage erfahren, die den Ausschuss nicht erreicht habe, berichtet der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland. Demnach soll es im Land Berlin schon vor zehn Jahren einen Hinweis gegeben haben, der möglicherweise zu dem untergetauchten Terrortrio – Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe – hätte führen können.

Aus Berlin habe der Ausschuss aber nichts bekommen, klagt Wieland und fordert Aufklärung. „Es ist ein weiterer Schock“, schiebt er nach und verzieht das Gesicht. Auch die anderen Abgeordneten sind wütend. „Es hört und hört nicht auf“, schimpft die SPD-Obfrau Eva Högl. „Ich bin wirklich genervt.“ Keine Akte, kein Papier und keine Datei dürften mehr verschwinden. „Damit muss jetzt endlich mal Schluss sein.“

Die Parlamentarier sind Kummer gewohnt. Bei ihrer Auftaktsitzung nach der Sommerpause am Dienstag kam heraus, dass der Bundeswehr-Geheimdienst MAD in den 90er Jahren eine Akte zu dem späteren NSU-Terroristen Mundlos angelegt hatte. Mehrere Verfassungsschutzämter und auch de Maizière wussten bereits seit Monaten davon. Nur die Aufklärer im Parlament ahnten nichts.

De Maizière hat mittlerweile – in sparsamer Form – Versäumnisse eingeräumt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich selbst eingeschaltet und erklärt, die Regierung wolle uneingeschränkt bei der Aufklärung helfen. Bei den Abgeordneten bleibt Begeisterung aus.

Die Vorgabe der Regierungschefin sei wohl noch nicht bei jedem angekommen, spottet die SPD-Frau Högl. Vom Verteidigungsressort müsse noch mehr kommen. Einen schriftlichen Bericht rund um die Akte Mundlos verlangt der Ausschuss vom Ministerium. Ein Auftritt in dem Gremium bleibt de Maizière zwar vorerst erspart. Aber Högl betont: „Natürlich behalten wir uns vor, auch den Minister im Untersuchungsausschuss zu hören.“

Der Aktenärger überlagert auch an diesem Donnerstag die reguläre Arbeit im Ausschuss. Eigentlich sollte dort der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn im Mittelpunkt stehen. Doch die Pannenserie bestimmt die Diskussion.

Dann kommt die Nachricht vom Rücktritt des Verfassungsschützers Volker Limburg aus Sachsen-Anhalt herein (siehe Info-Box). Schon die obersten Verfassungsschützer im Bund, in Sachsen und in Thüringen hatten wegen Pannen bei den NSU-Ermittlungen ihre Posten geräumt. Dies sei dann nun „der vierte Skalp“, sagt der Grünen-Abgeordnete Wieland. Nein, das sei zu flapsig, tadelt er sich selbst und korrigiert: „Es ist eher traurig.“

Der nächste Verfassungsschützer tritt zurück

Die Pannen bei der Aufklärung der rechtsextremistischen Mordserie kosten immer mehr Top-Verfassungsschützer ihr Amt. Nach dem Leiter des Bundesamtes und der Behördenchefs von Sachsen und Thüringen tritt auch der oberste Verfassungsschützer Sachsen-Anhalts zurück. Der Bitte von Volker Limburg sei entsprochen worden, teilte das Innenministerium gestern in Magdeburg mit.

Ausschlaggebend sei wohl eine Panne mit einer zurückgehaltenen Akte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) über das Mitglied der Neonazi-Terrorzelle Uwe Mundlos gewesen, sagte Innenstaatssekretär Ulf Gundlach (CDU). (dpa)

Kommentar: Ist eigentlich den Beamten das Primat der Politik klar? Anscheinend nicht!

De Maizière wusste selbst von brisanter Akte

 

Do, 13. Sep. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Titel Aachen / Seite 1

De Maizière wusste selbst von brisanter Akte

Berlin. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat schon vor Monaten von der brisanten Geheimdienst-Akte über den Rechtsterroristen Uwe Mundlos gewusst. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) informierte die Spitze des Ministeriums kurz nach Auffinden eines Vermerks über die Unterlagen Mitte März. De Maizière nannte es unsensibel, dass sein Haus nicht auch den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags dazu gezielt unterrichtete. Ein Sprecher des Ministeriums erklärte, „zeitnah“ nach der Unterrichtung durch den MAD Mitte März habe de Maizière davon erfahren. Es sei aber nicht Aufgabe des Ministers gewesen, den NSU-Untersuchungsausschuss auf die Unterlagen hinzuweisen.

Die Existenz der MAD-Unterlagen zu Mundlos war am Dienstag auf Umwegen im NSU-Ausschuss ans Licht gekommen. (dpa)

Kommentar: Warum hat der Minister nicht nachgefragt, ob der Ausschuss Bescheid weiß über die Akte? Wenn er dies voraus gesetzt haben sollte, dann hat er sein Ministerium nicht im Griff. Beides zeugt m.E. von einem Versagen des Ministers!

Provokationen,Prügel und üble Propaganda

 

 

Mi, 29. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Die Seite Drei / Seite 3

Das Thema: Kampf gegen die Neonazi-Szene

Provokationen,Prügel und üble Propaganda

589 Strafverfahren listet die Verfügung auf, mit der das NRW-Innenministerium die Neonazi-Bande „Kameradschaft Aachener Land“ verboten hat

Von Michael Klarmann

Aachen. 900 Polizeibeamte führten am Donnerstag vergangener Woche einen landesweiten Schlag gegen die Neonazi-Szene. Drei Gruppen wurden verboten, darunter die „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL). Der Leiter des Kommissariats „Rechts motivierte Kriminalität“ (REMOK), Stephan Zenker, sagte danach, die Neonazi-Bande habe eine „Systemüberwindung“ angestrebt, also den demokratischen Rechtsstaat aggressiv bekämpft. Ihr Aktionsraum sei „die Straße“ gewesen. Und: „Die KAL war ganz massiv darauf ausgerichtet, Straftaten zu begehen.“ Ermittelt wird derzeit etwa gegen KAL-Mitglieder wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Das Mitglied des Dürener Kreistages, Ingo Haller, steht im Verdacht, eine kriminelle Vereinigung unterstützt zu haben.

Zumindest geht beides aus der 66-seitigen Verbotsverfügung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums hervor, das die Polizisten zu Beginn der Razzia jedem mutmaßlichen KAL-Mitglied aushändigten und das unserer Zeitung vorliegt. Den Neonazis, die im Verdacht stehen, einen Mord in Wassenberg begangen zu haben, wurde das Schreiben in ihren Zellen überreicht, sie sitzen derzeit in Untersuchungshaft.

Auch Haller, lange Jahre NPD-Kreisvorsitzender in Düren und im Zuge eines Machtkampfes aus der Partei ausgeschlossen, wurde eine Verbotsverfügung zugestellt. Haller, der 2009 für die NPD in den Kreistag Düren gewählt wurde und diesem nun als parteiloses Mitglied angehört, war als Autor für die KAL-Homepage tätig.

So schrieb Haller in einem Beitrag über ein Neonazitreffen mit fast 150 Besuchern in einer alten Klosteranlage in Erkelenz im März 2012, man habe „mehr als 600 Euro für die Kameraden in Haft gesammelt.“ Das Geld sollte „Kameraden“ im Rheinland und in Rheinland-Pfalz gespendet werden, gegen die wegen Bildung der kriminellen Vereinigung „Aktionsbüro Mittelrhein“ vorgegangen wird und die in U-Haft sitzen. Gegen den Autor des Textes, also Haller, so heißt es in der KAL-Verbotsverfügung, bestehe „der Anfangsverdacht wegen des Tatvorwurfs der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.“ Tat- und Publikationsort auch hier: die Homepage der Neonazi-Gruppe.

Zwar wurde die KAL nach dem Vereinsgesetz verboten, allerdings stellt man nicht explizit in der Verbotsverfügung fest, dass auch sie eine kriminelle Vereinigung ist. Ermittlungen in dieser Richtung könnten jedoch noch folgen. So wird in der Verfügung durch das Düsseldorfer Innenministerium festgestellt, dass zwischen dem 1. Januar 2008 und dem 1. Juni 2012 insgesamt gegen KAL-Mitglieder 589 Strafverfahren eingeleitet wurden. Zugestellt wurde die Verbotsverfügung übrigens an 46 Personen, was das Ausmaß der kriminellen Energie verdeutlicht. Dabei geht es um Bedrohungen, Gewalttaten und Propagandadelikten, aber auch um Vorfälle aus dem Bereich der „allgemeinen Kriminalität“.

Opfer waren Migranten, Angehörige sozialer Randgruppen und besonders Menschen aus dem linken Spektrum. Letztgenannte seien oftmals „ohne Hinzutreten weiterer Gründe sofort und unvermittelt tätlich angegriffen“ worden. Hierzu, heißt es in der Verbotsverfügung, habe es „keiner weiteren Absprache“ unter KAL-Leuten benötigt, denn ihre „ideologische Ausrichtung löst unmittelbar den Tatimpuls aus und macht Menschen zu Feinden, die körperlich angegriffen werden.“

So etwa in der Aachener Innenstadt an einem Sonntagmittag im Juni 2011. Eine Gruppe von rund 20 KAL-Mitgliedern greift einen jungen Mann auf einem Skateboard an, den sie als Nazigegner identifizieren. Man jagt ihn, bis er sich in den Pkw eines Passanten flüchtete. Die Neonazis bedrohen den Fahrer, sprühen Reizgas ins Autoinnere, schlagen auf das Blech und den Skater ein, bis den Opfern die Flucht gelingt.

Die KAL-Verbotsverfügung listet insgesamt 14 solcher schweren Straftaten exemplarisch auf, um das Verbot zu untermauern. Aufgeführt wird dabei etwa der Fall eines Punks in Heinsberg, der massiv bedroht wird und dem die KAL am 25. Dezember 2011 ein blutiges Tierherz in den Briefkasten steckt. Dazu findet er eine „Karte“ der KAL, auf der rote Herzen aufgeklebt und handschriftliche Grüße vermerkt sind: „Ein Herz für Antifa’s wünscht deine K-A-L“. Im Februar 2011 stürmen KAL-Leute in Wassenberg eine alternative Rockkneipe, laut Verbotsverfügung überwiegend von „Personen des linken Spektrums besucht“, und greifen Gäste an.

Erst „Hitler-Gruß“, dann Schläge

Auch die aktuell schwerste Straftat listet die Verfügung aus dem Ministerium auf. Auch sie trug sich in Wassenberg zu – und nur durch glückliche Umstände scheint es keinen Toten gegeben zu haben. Denn im September 2011 versuchen im Umfeld eines Jugendtreffs KAL-Leute Jugendliche anzuwerben. Zwei Männer und eine Frau begrüßen Umstehende mit „Sieg heil“ und „Heil Hitler“ und heben den rechten Arm zum Hitler-Gruß. Es kommt zum Streit zwischen den Neonazis und einem 47-Jährigen und dessen Lebensgefährtin. Ein KAL-Mann schlägt dem Mann mit einer Bierflasche auf den Kopf und mit der Faust ins Gesicht. Nachdem das Opfer stark am Kopf blutend zu Boden geht, fordern das KAL-Mitglied und dessen Ehefrau umstehende Jugendliche auf, den Mann „plattzumachen“. Das KAL-Mitglied und zwei Jugendliche treten gegen Kopf und Oberkörper des Opfers und verletzen es schwer.

Drei „Sektionen“

Die KAL verfügte laut Verbotsverfügung über eine Frauengruppe nebst Anführerin und über „Sektionen“ in Aachen, Düren und Heinsberg. Jede „Sektion“ wurde von einem „Kameraden“ geleitet, die Gesamtgruppe wurde von einem Trio angeführt, an dessen Spitze René Laube aus Vettweiß-Kelz stand. Es gab eine Kasse nebst Kassenwart.

Und Laube könnte noch wegen einer Passage in der Verbotsverfügung in Bedrängnis geraten. Im Rahmen von Ermittlungen wegen eines Eintrages auf der KAL-Homepage zur Glorifizierung von Adolf Hitler plauderte der KAL-Chef demnach gegenüber der Polizei die Namen von drei „Kameraden“ aus, die die Website administrierten. Hausdurchsuchungen bei den drei Neonazis liefen danach aber ins Leere. Beweismittel, also Computer und Datenträger, waren verschlüsselt und konnte von den Ermittlern nicht geknackt werden.

Da die Homepage anonym über User in Hongkong und in der Türkei registriert ist, konnten die Ermittler den Webmaster nicht identifizieren. Das Verfahren wurde eingestellt. Ebenso ergebnislos blieben Verfahren, nachdem die KAL die Zwickauer Terrorzelle verherrlicht hatte. Nicht ermittelt werden konnten auch Verantwortliche für ein Tool auf der Homepage, das automatisch eine Grafik nachlud, wenn die Internetkennung eines Behörden-Computers registriert wurde. Geschah dies, veränderte sich die Startseite der Homepage automatisch und wies den Vertreter der „Judenrepublik“ darauf hin, dass er die Homepage nicht „betreten“ durfte.

„Ihre ideologische Ausrichtung löst unmittelbar den Tatimpuls aus und macht Menschen zu Feinden, die körperlich angegriffen werden.“

Aus der Verbotsverfügung des NRW-Innenministeriums

Polizist soll NSU-Szene gewarnt haben

 

Mo, 27. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / AN Politik / Seite 4

Polizist soll NSU-Szene gewarnt haben

Aktenfund bestätigt offenbar Verdacht gegen einen Beamten aus Thüringen

Erfurt. Neue Akten im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Neonazi-Terrorzelle NSU bringen die Behörden in Thüringen in Erklärungsnot. Ein Polizist steht im Verdacht, Ende der 90er Jahre Dienstgeheimnisse an einen Rechtsextremisten aus dem Umfeld des späteren NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) verraten zu haben. Seit Monaten geisterte der Verdacht auf undichte Stellen in den Behörden durch den Thüringer Untersuchungsausschuss. Jetzt liegen den Ausschüssen von Bund und Freistaat Akten vor, die diesen Verdacht nähren. Aus der Thüringer Regierungspartei SPD wurde Innenminister Jörg Geibert (CDU) zum Rücktritt aufgefordert.

In den Unterlagen werde der Polizist von zwei unabhängigen Quellen belastet, sagte die Innenexpertin der Thüringer Linksfraktion, Martina Renner. Der Thüringer Verfassungsschutz hatte in der vergangenen Woche erklärt, die Vorwürfe gegen den Mann seien noch einmal geprüft worden, ohne dass sich Verdachtsmomente ergeben hätten.

Laut Renner belegen die Akten, dass je ein V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) unabhängig voneinander einen Thüringer Polizisten als Sympathisanten der Neonazi-Szene einstuften. (dpa)

„Heute ist ein guter Tag für die Region“

 

Fr, 24. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Euregio / Seite 5

Das Thema: KAL-Verbot

„Heute ist ein guter Tag für die Region“

Aachens Polizeipräsident Klaus Oelze macht aus seiner Freude über das KAL-Verbot keinen Hehl und warnt eventuelle Nachfolger

Von Ulrich Simons

Aachen. Zu ungewohnt früher Stunde bekam Denis U. gestern Morgen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg etwas zu lesen. Dort sitzt der 26-Jährige derzeit wegen diverser Körperverletzungsdelikte ein, und wie ihm erging es zwei weiteren Häftlingen in Siegburg und Aachen.

Doch was ihnen um 5.25 Uhr durch die Zellentür gereicht wurde, wird ihnen kaum gefallen haben: Auf 66 Seiten wurde den Mitgliedern der rechtsextremen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) mitgeteilt, dass ihr Verein und zwei weitere ähnlich gelagerte Gruppierungen in NRW soeben von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) verboten und aufgelöst worden waren. Begründung: Sie seien fremdenfeindlich, rassistisch, antisemitisch und eine Gefahr für ein friedliches Zusammenleben.

Mit Pistolen und Gewehren

„Wir waren zuerst in den drei JVA, weil wir relativ sicher waren, dass wir die Herrschaften dort erreichen würden“, konnte sich Aachens Polizeipräsident Klaus Oelze bei einer Pressekonferenz am Nachmittag in Stolberg ein wenig Süffisanz nicht verkneifen, machte dann aber aus seiner Freude über das Verbot keinen Hehl. Lange habe er überlegt, wie er seine Ausführungen beginne, um dann am Ende Anleihen bei Bundespräsident Joachim Gauck zu nehmen: „Heute ist ein guter Tag für die Region.“

Bei 43 weiteren Mitgliedern der KAL in der Region hatten insgesamt 220 Beamte aus Aachen, Heinsberg und Düren am frühen Morgen geklingelt, im Gepäck die Verfügung aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium, an der die Aachener Polizei maßgeblichen Anteil hatte und die das Ende der organisierten braunen Umtriebe im Aachener, Dürener und Heinsberger Land bedeutete.

Was die Polizei bei ihren Hausdurchsuchungen konfisziert hatte, türmte sich derweil auf einem Tisch und machte sprachlos: ein Waffenarsenal, das mit mittelalterlichen Hieb- und Stichwaffen wie Morgenstern und Krummsäbel begann, sich über Schlagring, Zwille, Baseball- und Totschläger fortsetzte und schließlich mit jeweils einem halben Dutzend Gas- und Luftpistolen und Luftgewehren mit Zielfernrohr endete. Dazwischen ein Stahlhelm, ein Hakenkreuz, das irgendwann einmal vermutlich auf einer Fahnenstange gesteckt hatte, ein gusseisernes Hitler-Relief und viel schwarz-weiß-rote Nazi-Symbolik.

Die akribisch über Wochen vorbereitete Razzia muss die Neonazis ohne jede Vorwarnung getroffen haben, glaubte der Leitende Kriminaldirektor Helmut Wälter, der den Einsatz in der Region koordiniert hatte. Völlig ohne Gegenwehr hätten die KAL-Mitglieder den Hausbesuch und die Beschlagnahmungen über sich ergehen lassen. Nur einer habe später beim Staatsschutz randaliert und die Herausgabe seiner Sachen verlangt. Aber nicht lange.

Als eine Gruppierung, „die über Jahre gegen sämtliche Verbotsgründe des Vereinsgesetzes verstoßen hat“, charakterisierte Kriminalrat Stephan Zenker, Chef der Abteilung Staatsschutz im Aachener Polizeipräsidium und Leiter der Arbeitsgruppe gegen rechts-motivierte Kriminalität (REMOK), die KAL. Es sei ein wenig mühsam gewesen, hinter ihre Strukturen zu kommen, da die Kameradschaft weder über eine Satzung verfügt habe noch über Mitgliederlisten.

„Die Personen bleiben“

„Ihr Aktionsraum war die Straße“, erklärte der Staatsschutz-Chef. Die Gewalthandlungen hätten sich fast zwangsläufig daraus ergeben. Allerdings warnte Stephan Zenker auch: „Der Verein ist zwar verboten, aber die Personen bleiben.“

Eine Einschätzung der Lage, die der Polizeipräsident unterstrich. „Wir haben ein Signal gesetzt, aber wir gehen davon aus, dass unsere Arbeit nicht beendet ist“, blickte Klaus Oelze eher nüchtern in die Zukunft. Und kündigte an, konsequent auch gegen eventuelle Nachfolgeorganisationen vorgehen zu wollen, die ebenfalls von dem Verbot erfasst seien. „Wenn wir erkennen dass es Nachfolgeorganistionen gibt, wird es mir ein Genuss sein, denen die Verfügung persönlich zuzustellen.“

Ziel der gestrigen Razzia sei gewesen, Strukturen zu zerstören und den Neonazis das Leben schwer zu machen. Dazu gehörte auch die Beschlagnahmung der Vereinskasse beim mutmaßlichen Hauptkassierer, in der sich 780 Euro in bar befanden.

Dass man in dieser Hinsicht einen Volltreffer gelandet hatte, könnte ein Fund aus der Zelle des Eingangs erwähnten Denis U. belegen. Bei der Durchsuchung seiner Zelle waren die Beamten auf die Skizze eines Wappens gestoßen. Im Zentrum ein Hakenkreuz, darüber schwebend die ineinander verschlungenen Buchstaben KAL, oben drüber die Schlagworte „Blut & Boden“. Gut möglich, dass Denis U. in der Haft gerade dabei war, ein neues Logo der „Kameradschaft Aachener Land“ zu entwerfen. Das Projekt dürfte sich gestern erledigt haben.

„Wir haben ein Signal gesetzt, aber wir gehen davon aus, dass unsere Arbeit
noch nicht beendet ist.“

Klaus Oelze

Aachener Polizeipräsident

Von „zufrieden“ bis „überfällig“: Genugtuung über Verbot

 

Fr, 24. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Lokaltitel Aachen / Seite 13

Von „zufrieden“ bis „überfällig“: Genugtuung über Verbot

Politiker sehen darin einen Erfolg ihrer Arbeit gegen Rechts. Auch die Straftaten der KAL sollten konsequent verfolgt werden.

Aachen. Vertreter aller politischen Fraktionen in Aachen begrüßten gestern das von Innenminister Ralf Jäger ausgesprochene Verbot der Kameradschaft Aachener Land (KAL). „Das entspricht dem Weg, den wir uns gewünscht haben“, erklärte Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU), der an eine entsprechende Resolution erinnerte, mit der sich der Rat der Stadt und der Städteregionstag bereits im Januar einstimmig für ein Verbot der KAL ausgesprochen hat.

„Wir können zufrieden sein“, sagte Philipp, der bereits am frühen Morgen vom Aachener Polizeipräsidenten persönlich über die Razzia informiert worden ist. „Ich gehe davon aus, dass bei dieser Aktion ausreichend Dinge gefunden wurden, durch die das kriminelle Handeln deutlich eingeschränkt werden kann“, sagte der OB. Zugleich betonte er, dass damit das Problem des Rechtsextremismus in der Region nicht gelöst ist.

Ähnlich äußerte sich Axel Hartmann, der derzeit den urlaubenden Städteregionsrat Helmut Etschenberg vertritt: „Gerade für unsere Region ist das ein deutliches Signal, dass rechte Umtriebe in unserer Gesellschaft nicht erwünscht sind. In der Städteregion Aachen ist kein Platz für Rechtsextremisten und Neonazis.“

Der Aachener CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke wertet das KAL-Verbot auch als wichtiges Signal für die Alemannia in ihrer Auseinandersetzung mit rechtsextremen Fans: „Es ist zu prüfen, was dieses Verbot für den Umgang mit der Karlsbande bedeutet. Der runde Tisch war ein erster Schritt, doch ohne harte Konsequenzen kommen wir hier nicht weiter.“

Auch Grünen-Ratsherr Jonas Paul stellt den Bezug zu Alemannia her, weil „rechtsextremistische Rädelsführer die Fußballstadien zunehmend für ihre rassistische und nationalistische Agitation nutzen“. Er begrüßt daher nicht nur das KAL-Verbot, sondern auch den gestern vorgestellten Maßnahmekatalog der Alemannia gegen Rechts als „großen Schritt in die richtige Richtung“.

Bürgermeisterin Hilde Scheidt (Grüne) zeigte sich ebenfalls sehr erfreut über die Großaktion: „Ich finde es wunderbar, dass man zeigt, dass man diese Leute in die Schranken weisen kann. Dafür haben wir lange gekämpft.“ Das sei auch ein Erfolg der gemeinsamen Arbeit gegen Rechts: „Ich vertraue der Polizei, dass das auch Bestand hat.“

Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt (SPD) hörte die Nachricht vom KAL-Verbot schon am frühen Morgen: „Das war für mich die ganz gute Nachricht. Ich glaube, dass das der einzige Weg ist, dass man die Infrastruktur zerschlägt, das Vermögen einzieht und die Zusammenkünfte erschwert.“ Wichtig sei auch, dass Straftaten, die von den Mitgliedern verübt wurden, konsequent verfolgt würden. „Da haben wir ja einiges in Aachen erlebt.“ Schmidt lobt auch das „kluge Vorgehen“ des Innenministers und der Behörden, das Verbot vorzunehmen und sofort zu vollziehen. „Ich weiß sehr wohl, dass rechtsradikales Gedankengut nur durch eine ständige gesellschaftspolitische Auseinandersetzung beseitigt werden kann.“

Selbst betroffen von rechtsextremen Übergriffen war Linken-Ratsfrau Renate Linsen-von Thenen. Zweieinhalb Jahre lang wurden bei ihr Fensterscheiben eingeworfen, das Auto wurde besprüht, Drohanrufe gingen ein. „Ich denke, das Verbot war überfällig, die haben so viel auf dem Kerbholz.“ Sie mache sich Gedanken, ob es jetzt ein Ende mit derartigen Übergriffen auf sie und andere habe.(hau/gei)

Volksverhetzung, Geiselnahme und Hitlers Geburtstag

 

Fr, 24. Aug. 2012
Aachener Nachrichten – Stadt / Euregio / Seite 5

Volksverhetzung, Geiselnahme und Hitlers Geburtstag

Warum die „Kameradschaft Aachener Land“ nicht bloß eine kleine Schlägerbande politisch verirrter junger Menschen war

Von Michael Klarmann

Aachen. Die „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) ist 2001 gegründet worden. Allerdings gab sie seit geraumer Zeit selbst an, erst 2002 gegründet worden zu sein. Sie war die wohl älteste noch aktive Kameradschaft in NRW.

Ihre Mitglieder fielen immer wieder durch Straftaten wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Propagandadelikte, Bedrohungen und Volksverhetzungen auf, immer wieder mussten einzelne Mitglieder auch ins Gefängnis. Einem der führenden KAL-Mitglieder, einem Studenten aus Düren, wurde etwa die Verbotsverfügung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums gestern Morgen in seiner Zelle in der Haftanstalt Siegburg ausgehändigt. KAL-Mitglieder fielen zudem schon mit einer Geiselnahme und Sprengstoffdelikten auf.

Auch wenn die KAL zeitweise im Kreis Aachen besonders aktiv war, orientierte sich das „Aachener Land“ im Namen am alten Landkreis Aachen, zu dem auch die Kreise Düren und große Teile des Kreises Heinsberg gehören. So verorteten die Behörden auch lange den Schwerpunkt der KAL-Aktivitäten im Kreis Düren. In den letzten Jahren trat die KAL zudem vermehrt mit Sprühaktionen und Gewalttaten im Raum Heinsberg in Erscheinung. Der Kopf der Neonazigruppierung wiederum, ein einschlägig vorbestraftes Mitglied, lebt in Vettweiß-Kelz.

Die KAL organisierte gemeinsam mit der NPD und anderen Neonazis Aufmärsche in der Region und Treffen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden und konspirativ vorbereitet wurden. Wiederholt war es rund um den 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, zu Sprühaktionen der KAL gekommen, in denen Hitler gehuldigt, respektive ihm gratuliert wurde. Auch auf ihrer Internetseite gratulierte die KAL Hitler schon auf strafrechtlich relevante Weise anlässlich des „Führer-Geburtstages“. Die auf einem Server im Ausland liegende Homepage der KAL steht wegen zahlreicher solcher Delikte inzwischen auf dem Jugendschutzindex und ist über Internet-Suchmaschinen nicht mehr zu finden.

Probezeit: sechs Monate

Neonazi-Kameradschaften wie die KAL treten nach außen hin als lose Gruppen ohne Strukturen auf, was ein Verbot nach dem Vereinsgesetz verhindern soll. Dennoch verfügte die KAL über feste Strukturen. Die Mitglieder trafen sich regelmäßig, um Aktionen und Strategien zu beraten. Brisante Aktionen oder gezielte Angriffe auf politische Gegner wurden nur im kleinen Kreis besonders eingeschworener Mitglieder geplant und durchgeführt. Einmal im Jahr fand eine Jahreshauptversammlung statt.

Über Mitgliederzahlen gab es keine ganz genauen Angaben, zeitweise war von rund 20 die Rede, meist wird deren Zahl in Szenekreisen aber höher angegeben. So berichteten Szenevertreter im Jahr 2010, dass die KAL 30 bis 60 Mitglieder habe. Unklar blieb dabei, ob bei den Angaben auch Mitläufer und Anwärter mitgezählt wurden. Interessenten oder Kameraden anderer Gruppen werden etwa zum Umfeld gezählt oder als Mitläufer behandelt.

Neonazis, die sich der KAL anschließen wollten, wurden – ähnlich wie in einem Rockerclub – als Anwärter bezeichnet. Normalerweise mussten sich diese Anwärter in ihrer Probezeit, angelegt meist auf einen Zeitraum von sechs Monaten, als vertrauenswürdig und zuverlässig etwa bei der Begehung von Straftaten erweisen, bevor sie für eine Vollmitgliedschaft infrage kamen. Erst als Vollmitglied durften sie entsprechende Signets auf ihrer Kleidung beziehungsweise das T-Shirt der KAL tragen oder sich selbst als KAL-Mitglied bezeichnen.

Die anderen verbotenen Gruppierungen

„Nationaler Widerstand Dortmund“: Die Neonazi-Gruppierung wird den Autonomen Nationalisten zugerechnet, die als äußert gewaltbereit gelten. Rund 50 Mitglieder – etwa zwischen 15 und 25 Jahre alt – bilden den harten Kern. Ihr Aussehen wirkt modern. Zum Outfit gehören schwarze Kapuzenpullover, Turnschuhe und Sonnenbrillen. Propaganda-Slogans werden inzwischen auch auf Englisch gesprüht oder plakatiert, was vor Jahren in der Szene noch verpönt war. Die Gruppe ist äußerst aktiv. Durch die schnelle Verbindung in Nachbarstädte können die Mitglieder zu Spontanaktionen schnell weitere Anhänger mobilisieren.

„Kameradschaft Hamm“: Die Kameradschaft wirbt in Hamm mit Flugblatt-Aktionen und Informationsständen, organisiert dort auch Demonstrationen und hat Beziehungen zur NPD. Aufgrund der Nachbarschaft zu Dortmund werden Aktionen häufig gemeinsam gestartet. Nach einer längeren Auszeit war die Gruppierung zuletzt wieder verstärkt in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. (dapd)